Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 260 - Die Zweifel von Yudhishthira bezüglich der Gerechtigkeit

Yudhishthira sprach:
Du sagtest, oh Großvater, daß die Gerechtigkeit subtile Wege geht und von den Tugendhaften in ihrem Verhalten aufgezeigt wird, die voller Selbstbeherrschung sind und den Geboten der Veden folgen. Dazu regen sich in meinem Inneren einige Zweifel aufgrund verschiedener Argumente. Da du mir schon so viele Fragen beantwortet hast, so erkläre mir auch diese, oh König, die wahrlich nicht aus der Lust am Disputieren kommt: Es scheint, daß all diese verkörperten Wesen durch ihre eigene Natur (ihr Karma) geboren werden, gedeihen und ihren Körper wieder verlassen. Welche Aufgaben sie im Leben haben oder nicht, kann wohl deshalb, oh Bharata, nicht allein durch die Gebote der Schriften bestimmt werden. Die Aufgaben einer wohlhabenden Person sind von anderer Art, wie die Aufgaben einer Person, die in Not und Armut gefallen ist. Wie kann man die Aufgaben sogar in Notzeiten so kategorisch festlegen? Du sagtest, das Verhalten der Weisen sei die Richtschnur für Gerechtigkeit. Aber einen Weisen erkennt man doch erst durch sein Verhalten. Damit sind die Merkmale des gerechten Verhaltens der Weisen fraglich, weil das Fundament bereits unsicher ist. Außerdem sieht man häufig, wie aus vermeintlich gerechten Taten Ungerechtigkeit entsteht und aus vermeintlich ungerechten Taten Gerechtigkeit.

Dann sagtest du auch, daß Gerechtigkeit durch die Kenner der Veden verkündet wird. Aber wir haben gehört, daß die Autorität der Veden mit jedem Zeitalter mehr schwindet. Die Aufgaben im goldenen Krita Yuga waren von anderer Art als die im Treta oder Dwapara Yuga. Und die Lebensaufgaben im eisernen Kali Yuga sind wieder ganz anders. Es scheint deshalb, daß die Aufgaben in den jeweiligen Zeitaltern entsprechend den Fähigkeiten der Menschen aufgestellt worden sind. Wenn deshalb die Gebote der Veden nicht für alle Zeitalter gelten, dann wäre die allgemeingültige Wahrheit der Veden nur eine gebräuchliche Redensart. Aus den Veden sind die Smritis entstanden, die viel weitgefächerter sind. Wenn die Veden eine Autorität für alles sind, dann müßten die Smritis auch eine Autorität sein, weil sie auf den Veden beruhen. Wenn sich jedoch Veden und Smritis widersprechen, wer hat dann die Autorität? Andererseits wissen wir auch, daß übelgesinnte Menschen sogar in den Schriften viel manipulieren können, und damit das Ganze zerstört werden kann.

Doch ob wir es wissen oder nicht, ob wir es ergründen können oder nicht, die Frage der Lebensaufgaben ist subtiler als die Schneide eines Rasiermessers und gewichtiger als jeder Berg. Am Anfang erscheint die Gerechtigkeit (bezüglich der Lebensaufgaben) als großes Ideal wie die eindrucksvollen Wolkenberge am weiten Himmel. Wenn sie der Weise jedoch näher untersucht, lösen sich ihre Formen allmählich auf, und sie wird unsichtbar (bzw. ungreifbar). Wie kleine Teiche, aus denen das Vieh trinkt oder wie seichte Bewässerungsgräben schnell austrocknen, so zerfallen die ewigen Gebote der Veden und schließlich verschwindet ihr Sinn ganz. Man wird sehen, wie ungerechte Menschen voller Begierde glücklich leben und sich ihrer Sünden erfreuen. Ungerechtigkeit erscheint als Tugend, und Gerechtigkeit wird als unsinnig, unwichtig und überflüssig erklärt. Man verspottet die Ehrlichen und spricht ihnen jeden gesunden Menschenverstand ab. Die Menschen mißachten ihre gegebenen Aufgaben und wollen alle wie Könige leben. Gibt es wirklich einen Lebenswandel, der für alle verbindlich und gut wäre? Indem der eine sich nach oben kämpft und Ruhm gewinnt, wird der andere nach unten gedrückt und seines Ruhmes beraubt, auch wenn er sich bestens bemüht. Jeder, der Verdienst ansammelt, behindert damit den Verdienst von anderen. So kann man sehen, daß kein Verhaltensweg allgemeingültig ist. Es scheint mir deshalb, daß die Erklärungen bezüglich der Lebensaufgaben, der Tugend und der Gerechtigkeit (dem Dharma) von den uralten Gelehrten im Laufe der Zeit zu einer ewigen Norm kristallisiert sind.


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