Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 259 - Über das Dharma und die heiligen Gebote

Yudhishthira sprach:
Alle Menschen, die diese Erde bewohnen, haben irgendwann Zweifel bezüglich dieser wesenhaften Gerechtigkeit (dem Dharma bzw. der Weltordnung). Was ist das für eine Gerechtigkeit? Woher kommt diese Gerechtigkeit? Belehre mich, oh Großvater! Ist diese Gerechtigkeit für diese Welt oder für die jenseitige? Oder ist sie für beide Welten? Das sage mir, oh Großvater!

Bhishma sprach:
Das Verhalten der Weisen, die heiligen Überlieferungen und die Veden sind die drei (äußeren) Kennzeichen der Gerechtigkeit (bzw. des Dharmas). Darüber hinaus haben die Weisen erklärt, daß die Motivation (einer Tat) das vierte (innere) Kennzeichen der Gerechtigkeit ist. Sie haben auch gelehrt, welche Taten gerecht und tugendhaft sind und bezüglich des Verdienstes höher oder niedriger. Diese Regeln der Gerechtigkeit sind für das praktische Verhalten in der Welt aufgestellt worden. Doch grundsätzlich gilt sowohl in dieser als auch der jenseitigen Welt, daß Glück und Wohlergehen aus der Gerechtigkeit fließen, während eine sündhafte Person anstatt Verdienst viel Leiden ansammelt, welches nur schwer wieder zu bereinigen ist. Für die Frage nach der Gerechtigkeit ist die Motivation einer Tat entscheidend. So kann man in Zeiten der Not sogar mit einer Lüge das Verdienst der Wahrhaftigkeit ansammeln oder durch eine vermeintlich untugendhafte Tat das Verdienst einer tugendhaften. An der Gesinnung des Handelns kann man die Gerechtigkeit erkennen. (Im Handeln offenbart sich die Natur des Menschen, ob er wahrhaftig ist oder nicht.) Auch ein Dieb, der das Eigentum anderer stiehlt, will damit Gutes tun, aber nur sich selbst. Und desto verkommener eine Gesellschaft ist, desto mehr Vergnügen findet ein Dieb am Aneignen von dem, was ihm nicht gehört. Wenn aber andere ihm nehmen, was er durch Raub gewonnen hat, dann schreit er laut nach Gesetz und König. Doch auch in diesem Moment, wenn seine Empörung über sein verletztes Recht auf Eigentum auflodert, beneidet er im Inneren nur den Reichtum, den andere genießen. Furchtlos und völlig überzeugt von sich (als Opfer eines Raubes) begibt er sich ohne jegliches Schuldgefühl zum Palast des Königs. Nicht einmal im Innersten seines Herzens sieht er in seiner Verblendung die Sünde seiner schlechten Taten. Deswegen wird die Wahrhaftigkeit so sehr gelobt. Es gibt nichts Höheres als Wahrheit. Die Wahrheit ist der Urgrund von allem und alles besteht durch Wahrheit. Selbst die Sündigsten und Grausamsten schwören auf die Wahrheit und fühlen sich gerecht. Doch wenn sie ihre Illusion nicht überwinden, werden sie unausweichlich untergehen.

„Eigne dir nichts Fremdes an!“ Das ist ein ewiges Gebot, auch wenn die Starken oft behaupten, daß es von den Schwachen (zum Selbstschutz) aufgestellt wurde. Irgendwann wird jeder Starke schwach, und dann wird er das Gebot achten. Wer sich Fremdes aneignet, wird niemals lange stark und glücklich sein. Deshalb setze dein Herz niemals auf Unwahrheit! Ein wahrhaftiger Mensch hat keine Angst vor Betrügern, Dieben oder dem König (bzw. dem Gesetz). Ohne andere zu verletzen, lebt er furchtlos und mit reinem Herzen. Dagegen mißtraut ein Dieb allen, wie ein wildes Reh inmitten eines bewohnten Dorfes. Er sieht in anderen Leuten stets das, was er selbst denkt und wie er handelt. Wer jedoch von reinem Herzen ist wird überall stets voller Heiterkeit sein und ohne Angst. Solch ein Mensch sucht nie die Fehler in anderen.

„Handle stets selbstlos und wohltätig!“ Dieses Gebot preisen die Weisen als eine weitere hohe Lebensaufgabe. Auch hier könnte ein Reicher behaupten, daß dieses Gebot von den Armen (zum Selbstzweck) aufgestellt wurde. Doch irgendwann wird jeder Reiche im Laufe des Schicksals auch ein Armer, und dann wird er die Wohltätigkeit achten. Wer nur für sich persönlich Reichtum anhäuft, wird niemals glücklich.

„Was du dir selbst nicht wünschst, das tue niemand anderem an!“ Könnte es ein Ehebrecher ertragen, wenn seine eigene Frau verführt wird? Wer sein Leben liebt und achtet, wie könnte er andere töten wollen? Was man für sich selbst wünscht, das wünsche man auch allen anderen. Wer mit Reichtum gesegnet wird, der helfe damit den Bedürftigen. Denn nur dafür wird ihm der Reichtum gegeben, daß er verdienstvoll gedeihe. So möge er das Opfern und die Wohltätigkeit üben, womit der hohe Verdienst anwächst, der zu den Göttern führt. Deshalb sagen die Weisen, Gerechtigkeit ist selbstloses Handeln zum Wohle aller Wesen. Oh Yudhishthira, erkenne darin das Kriterium für die Unterscheidung zwischen gerecht und ungerecht. Seit Urzeiten hat der Schöpfer die Gerechtigkeit dazu bestimmt, mit ihrer Kraft diese Welt zu bewahren. Das edle Verhalten der Tugendhaften ist deshalb der Selbstbeherrschung unterworfen, damit die Gerechtigkeit erhalten wird, die subtile, schwer ergründbare Wege geht. So habe ich dir die Anzeichen der Gerechtigkeit erklärt, oh Erster der Kurus. Richte deinen Sinn niemals auf irgendwelche ungerechten Taten. Bewahre das Dharma stets in deinem Herzen!


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