Pushpak Mahabharata Buch 6Zurück WeiterNews

Kapitel 26 - Yoga und Selbsterkenntnis

Sanjaya sprach:
An ihn, der vom Mitleid übermannt wurde, dessen Augen mit Tränen gefüllt und getrübt waren, an ihn, den Verzweifelten, richtete der Madhu Vernichter die folgenden Worte.

Der Heilige sprach:
Woher, oh Arjuna, überkommt dich in so schwerer Zeit diese Verzweiflung, die einem Hochgeborenen unkleidsam ist, aus dem Himmel wirft und viel Schande bringt? Lege diese Unmännlichkeit ab, oh Sohn der Kunti, denn sie paßt nicht zu dir. Überwinde diese unheilsame Schwäche des Herzens und erhebe dich, oh Feindevernichter!

Und Arjuna antwortete:
Wie, oh Krishna, könnte ich mit Pfeilen in der Schlacht gegen Bhishma und Drona kämpfen, die höchste Verehrung verdienen? Es wäre wohl besser, wie ein Bettler in der Welt zu leben, als seine ruhmvollen Lehrer zu töten. Nach dem Töten der Lehrer, selbst wenn sie nach Reichtum gierten, könnte ich nur noch blutbefleckte Freuden genießen! Es ist höchst zweifelhaft, was hier besser wäre, ob wir sie schlagen oder sie uns schlagen sollten. Auch, wenn uns die Söhne des Dhritarashtra feindlich gegenüberstehen, wenn wir sie getötet hätten, würden wir nicht mehr leben wollen. Mein ganzes Wesen ist von der Schwäche des Mitgefühls überwältigt, mein Geist zweifelt an meiner Pflicht. So frage ich dich: Sage mir aufrichtig, was wirklich gut für mich ist!? Ich bin dein Schüler, oh Krishna. Belehre mich, der deine Hilfe sucht! Ich kann nichts sehen, was meine Sorgen zerstreuen könnte, die all meine Vernunft sprengen, selbst wenn ich ein wohlhabendes Königreich auf Erden ohne jegliche Feinde oder die vollkommene Herrschaft der Götter gewinnen würde.

Sanjaya fuhr fort:
So sprach Arjuna, dieser Feindevernichter, zu Hrishikesha, dem Herrn der Sinne, und rief noch einmal „Ich werde nicht kämpfen!“, um dann zu schweigen. Daraufhin wandte sich Krishna an den Verzweifelten in der Mitte der beiden Fronten.

Und der Heilige sprach:
Du trauerst um jene, die man nicht betrauern muß. Du sprichst zwar viele weise Worte darüber, doch der wahrlich Weise fürchtet weder Tod noch Leben. Denn noch nie gab es eine Zeit, da Ich nicht war, noch Du oder all diese Herrscher der Menschen. Und niemals werden wir in Zukunft nicht sein. Wie das verkörperte Selbst die Kindheit, die Jugend und das Alter erfährt, so erlangt es auch einen anderen Körper. Der Weise wird darin nicht getäuscht. Es sind die Kontakte der Sinne mit ihren jeweiligen Objekten, welche die Erfahrungen von Hitze und Kälte, Freude und Schmerz bewirken. Sie sind niemals dauerhaft, denn sie haben einen Anfang und somit auch ein Ende. Lerne sie ertragen, oh Bharata! Denn der Mensch, der unter ihnen nicht mehr leidet, oh Held, der in Schmerz und Freude der Gleiche bleibt und im Sein gegründet ist, der ist für die Unsterblichkeit bereit. Es gibt kein Vergehen des Seienden und auch kein Werden aus dem Nichtseienden. Wer das Fazit dieser beiden Aussagen erreicht, erkennt das Selbst. So erkenne das Selbst, das unsterblich ist und alles durchdringt! Keiner vermag dieses Unsterbliche zu zerstören. Als vergänglich bezeichnet man nur die Verkörperungen von diesem Ewigen, Unzerstörbaren und Unendlichen. Deshalb kämpfe, oh Bharata!

Denn wer denkt, daß er irgendetwas zerstört, oder daß er irgendwie zerstört wird, der sieht (leidvolle) Illusion, denn das Selbst ist unzerstörbar. Das Selbst wird nie geboren noch stirbt es jemals. Es kennt kein Wachsen und kein Vergehen. Ungeboren, unvergänglich, ewig und uralt ist es. Es stirbt nicht mit dem Körper. Wer es als unzerstörbar, unvergänglich und unveränderlich erkannt hat, wie könnte er töten, getötet werden oder noch töten wollen? Wie ein Mensch abgetragene Kleidung ab- und neue anlegt, so wirft das verkörperte Selbst die verbrauchten Körper ab und erscheint als andere, sozusagen neue Körper. Waffen zerspalten es nicht, Feuer verbrennen es nicht, Wasser durchnässen es nicht, und Winde verwüsten es nicht. Keiner kann es spalten, verbrennen, davonspülen oder austrocknen. Es ist unveränderlich, alldurchdringend, beständig, verläßlich und ewig. So wird es als unentfaltet, unvorstellbar und unveränderlich bezeichnet. Ist dieses Wesen wahrhaft erkannt, mußt du nicht mehr darüber klagen.

Aber auch wenn du meinst, oh Starkarmiger, daß es ständig geboren wird und stirbt, gibt es eigentlich keinen Grund, darüber zu klagen. Denn für einen, der geboren wurde, ist der Tod gewiß, genauso gewiß, wie die Geburt für den, der stirbt. Deshalb klage nicht über das, was unvermeidlich ist. Unentfaltet sind alle Wesen am Anfang, dann erscheinen sie für eine kurze Weile, oh Bharata, doch ihr Ende ist wieder das Unentfaltete. Welche Klage könnte es darüber geben? Man betrachtet es wie ein Wunder, beschreibt es wie ein Wunder oder hört darüber das Wunderlichste, doch keiner kann es mit den Sinnen ergreifen.

Das Selbst, oh Bharata, ist in allen Körpern für ewig unzerstörbar. Diesbezüglich mußt du kein Geschöpf beklagen. Richte deine Augen auf die Aufgaben deiner Kaste und schwanke nicht! Denn für einen Kshatriya gibt es nichts Verdienstvolleres, als den fairen Kampf. Von selbst erschienen und wie ein offenes Tor zum Himmel, glücklich sind jene Kshatriyas, oh Partha, die zu so einem Kampf finden. Wenn du einen gerechten Kampf verweigerst, wirst du Sünde auf dich laden, indem du die Aufgaben deiner Kaste und deine Ehre verletzt. Dann werden die Leute immerfort deine Schande verkünden, was für das Volk, das dich verehrt, schlimmer als dein Tod wäre. Alle großen Wagenkrieger werden glauben, daß du dich aus Angst vom Kampf zurückgezogen hast, und du wirst als Schwächling bei denen gelten, die dir bisher vertraut haben. Die Feinde werden deine Heldenkraft herunterspielen und viele Worte sprechen, die nicht gesprochen werden sollten. Was kann (für die Welt) schlimmer sein als das? Getötet, wirst du den Himmel erreichen, oder siegreich die Erde genießen. Deshalb, oh Sohn der Kunti, entschließe dich zum Handeln! Betrachte Freude und Leid, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage als einerlei und kämpfe, weil es so sein soll, dann wirst du keine Sünde ansammeln.

Was ich dir eben gelehrt habe, das ist die Weisheit des Sankhya (die Theorie vom Selbst). Vernimm aber auch die Weisheit des Yoga (die Praxis im Leben). Mit dieser Erkenntnis wirst du, oh Partha, die Fesseln aller Handlungen abwerfen. Auf diesem Yoga Pfad geht keine Anstrengung verloren und nirgends gibt es unüberwindliche Hindernisse. Schon ein wenig Übung befreit von großer Angst. Auf diesem Pfad, oh Sohn der Kurus, wächst die Einsicht durch beständige Hingabe. Denn ohne Einsicht in beständiger Hingabe, verzweigen sich die Gedanken endlos.

Die Unwissenden, die sich an Disputen über die Veden erfreuen, die führen oberflächliche Reden, oh Partha, und behaupten, es gäbe nichts anderes. Sie begehren weltlichen Genuß und betrachten einen Himmel voller Lust und Freuden als das Höchste, versprechen die Wiedergeburt als Lohn der Taten und beschäftigen sich mit komplizierten Riten zum Erreichen von Genuß und Macht. Doch mit dieser Illusion im Herzen und im Denken, wird solchen Menschen, die an Genuß und Macht hängen und nur darin Befreiung suchen, keine Stille in der Meditation gewährt.

Die Veden berichten über die drei Qualitäten (Sattwa, Rajas und Tamas - Güte, Leidenschaft und Dunkelheit). Sei du, oh Arjuna, frei von ihnen, unverwirrt durch die Paare der Gegensätze, stets zufrieden, ohne Angst vor Ansammlung oder Verlust und im Selbst gegründet. Denn soviel Nutzen ein Brunnen in einem Land hat, wo überall reine Quellen fließen, soviel Nutzen haben die Veden für einen Brahmanen, der das Selbst erkannt hat.

Übe dich im Handeln, aber begehre nicht die Früchte davon. Laß weder die Frucht deine Motivation zum Handeln sein, noch neige dich zur Untätigkeit. Sei voller Hingabe, widme dich dem Werk, löse jegliche egoistische Anhaftung, oh Dhananjaya, und sei der Gleiche in Erfolg und Mißerfolg. Diese Gelassenheit wird der Yoga der Hingabe genannt. Diese Hingabe, oh Dhananjaya, ist weit bedeutender als das Werk selbst. Suche Zuflucht in dieser Hingabe! Bedauernswert sind jene, die nur für die Früchte arbeiten. Wer Hingabe hat, kann noch in dieser Welt das ichhafte (karmische) Handeln abwerfen. Widme dich deshalb der Hingabe. Diese Hingabe ist die große Weisheit im Handeln.

Der Weise, der voller Hingabe ist, hat den aus Handlungen geborenen Früchten entsagt, und befreit von der Fessel der Wiedergeburt, erreicht er die leidlose Region. Wenn dein Geist den Irrgarten der Illusionen durchquert hat, wird kein wesentlicher Unterschied mehr zwischen alten und neuen Erfahrungen sein. Wenn dein Geist, der sich bisher in die Erfahrungen verstrickt hat, beständig in der Einsicht (im Selbst) gegründet ist, dann ist wahre Hingabe erreicht.

Arjuna fragte:
Was, oh Krishna, sind die Anzeichen von einem, dessen Geist in der Einsicht gegründet ist? Wie sollte einer mit beständiger Hingabe sprechen, sitzen und handeln?

Der Heilige antwortete:
Wer alle egozentrischen Wünsche abgeworfen hat und im Selbst zufrieden ist, bei dem spricht man von beständiger Hingabe. Wer sogar in Katastrophen nicht verwirrt wird, dessen Begierden nach Genuß vergangen sind, der von Anhaftung, Angst und Haß frei ist, der gilt als Muni mit beständiger Hingabe. Wer überall ohne Anhaftung bleibt, wer weder durch Begierde noch durch Abneigung bezüglich irgendwelcher Dinge gebunden wird, dessen Hingabe ist beständig. Wer seine Sinne von ihren Objekten zurückziehen kann, wie eine Schildkröte ihre Glieder auf allen Seiten, auch dessen Hingabe ist beständig. So weichen die Sinnesobjekte durch Entsagung, aber noch nicht die Leidenschaft dafür. Die Leidenschaften weichen erst, wenn man das Höchste geschaut hat. Denn die leidenschaftlichen Sinne, oh Sohn der Kunti, ziehen gewaltsam sogar den Geist eines weisen Menschen davon, der sich hart um Entsagung bemüht. Sie alle zügelnd, sollte man in Meditation verweilen, die mich als alleinige Zuflucht kennt. Denn durch beständige Hingabe kommen die Sinne unter „Selbst-Kontrolle“. Wer dagegen beständig an die Sinnesobjekte denkt, der gewinnt eine persönliche Anhaftung an diese. Und aus Anhaftung entsteht Abneigung in Form von Zorn und Haß. Aus der Abneigung entsteht Verwirrung, durch Verwirrung wird die Erinnerung verfälscht, durch verfälschte Erinnerung wird die Vernunft zerstört, und ohne Vernunft ist man ganz und gar verloren.

Doch der Selbstgezügelte, der sich an der Welt mit Sinnen erfreut, die von Anhaftung und Abneigung frei und unter Selbstkontrolle sind, der findet die friedliche Stille (der Gedanken). Ist diese innere Stille erreicht, lösen sich bald alle Leidenszusammenhänge auf, sofern diese Stille im Selbst gegründet ist. Wer ohne Selbstzügelung ist, der findet keine Selbsterkenntnis. Ohne Selbsterkenntnis findet man keine innere Stille. Doch wie sollte man glücklich sein, wenn man keine innere Stille kennt? Denn solange die Gedanken den umherschweifenden Sinnen folgen, wird die Zufriedenheit davongetrieben, wie ein Boot vom Sturm auf dem Meer. Deshalb, oh Starkarmiger, erreicht man die innere Stille nur, wenn man die Sinne allseitig von ihren Objekten zurückziehen kann.

So wacht der Selbstgezügelte dort, wo es Nacht für alle Weltmenschen ist. Und wo die Weltmenschen wach sind, dort ist es Nacht für den schweigenden Weisen, der alles durchschaut. Wahrlich, innere Stille erreicht nur, in wen alle Dinge dieser Welt fließen können, wie die Flüsse mit dem Ozean verschmelzen, aber niemals derjenige, der diese Dinge ergreifen will. Wer sich ohne Begierde durch die Welt bewegt, wer von Anhaftung und Identifikation befreit ist, der findet die innere Stille. Das, oh Partha, ist göttliches Sein. Hier gibt es keine Illusion mehr. Wer beständig darin lebt, dem löst sich alles Körperliche im Verschmelzen mit dem Höchsten Selbst.


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