Pushpak Mahabharata Buch 5Zurück WeiterNews

Kapitel 43 - Sanatsujata über das Höchste Wesen und die Entsagung

Dhritarashtra sprach:
Was ist das Ziel der asketischen Stille (Mauna)? Welche ihrer zwei Arten ist besser (Schweigen oder Meditation)? Oh Erfahrener, erkläre mir den wahren Aspekt von Mauna. Kann ein Gelehrter durch Mauna einen Zustand der Ruhe und Befreiung (Moksha) erreichen? Oh Muni, wie wird diese asketische Stille geübt?

Sanatsujata sprach:
Weil weder das hörbare noch das denkbare Wissen in das Höchste Wesen eindringen können, wird dieses Höchste als Stille bezeichnet. Oh König, aus dieser Stille entsteht sowohl das geistige OM, als auch das hörbare OM der Veden (des Wissens).

Dhritarashtra fragte:
Werden jene, welche das Wissen des Rig, Yajur und Sama Veda haben, auch durch sündige Handlungen befleckt?

Sanatsujata sprach:
Wahrlich, der Mensch, der seine Sinne nicht gezügelt hat, der wird weder vom Rig, Yajur noch vom Sama Veda von seinen sündigen Taten befreit. Das Wissen allein rettet nie den Verblendeten vor Sünde, der die Illusion liebt. Es verläßt ihn am Ende, wie die flatterhaften Jungvögel ihre Nester.

Dhritarashtra fragte:
Oh Selbstkontrollierter, wenn das Wissen der Veden nicht fähig ist, eine Person ohne die Hilfe tugendhafter Handlungen zu befreien, woher kommt dann diese Ansicht der Brahmanen, daß die Veden stets Sünden zerstören?

Sanatsujata sprach:
Oh Großmütiger, dieses Weltall mit den Namen, Formen und Qualitäten erscheint aus dem Höchsten Wesen durch das Zusammenkommen von Bedingungen. Auch die Veden erklären dies, und beschreiben die Einheit des Höchsten Wesens und die Vielfalt des Weltalls. Um zu diesem Höchsten Wesen zu gelangen, werden Askese und Opfer beschrieben, denn durch diese beiden erntet der Gelehrte die Früchte der tugendhaften Handlungen. Beim Abbau der Sünde durch Tugend (Dharma) wird seine Seele mit Erkenntnis erleuchtet. Der Weise erreicht durch Erkenntnis das Höchste Wesen. Andere begehren die vier Lebensziele (Dharma, Artha, Karma, Moksha) und nehmen die Früchte ihrer Handlungen mit sich, um sie später zu genießen. Weil aber diese Früchte vergänglich sind, fallen sie immer wieder in den Bereich der Handlungen zurück. So werden die asketischen Früchte aus dieser Welt in der kommenden genossen (und wieder abgebaut). Doch für den selbstkontrollierten Yogi können alle Bereiche asketische Früchte tragen.

Dhritarashtra fragte:
Oh Sanatsujata, wie kann asketische Entsagung der gleichen Art, hier Früchte tragen und dort nicht? Sag mir das, damit ich es verstehen kann!

Sanatsujata sprach:
Man sagt, daß nur selbstlose Askese zur Befreiung führen kann. Während Askese, die noch durch Selbstsucht oder Begierde belastet ist, ihr hohes Ziel verfehlen wird. Alle deine Fragen, oh Kshatriya, berühren das wahrhafte Wesen der Askese. Nur durch selbstlose Askese erkennen die Weisen Brahman und gewinnen Unsterblichkeit.

Dhritarashtra fragte:
Ich habe gehört, was du über die reine Askese gesprochen hast, und habe damit ein uraltes Mysterium vernommen. Doch spricht jetzt, oh Sanatsujata, von der Askese, die mit Fehlern befleckt ist.

Sanatsujata sprach:
Oh König, in der Askese gibt es zwölf allgemeine Fehler und dreizehn unheilsame Taten. Zorn, Lüsternheit, Habgier, Unkenntnis über Heilsames und Unheilsames, Unzufriedenheit, Grausamkeit, Böswilligkeit, Hochmut, Sorgen, Begehrlichkeit, Neid und Schlechtmacherei sind die allgemeinen Fehler der Menschen. Diese zwölf sollte der Mensch stets vermeiden. Jeder von ihnen kann den leidvollen Untergang eines Menschen bewirken, oh Bulle unter den Männern. Wahrlich, jeder dieser Fehler wartet geduldig auf seine Gelegenheit im Menschen, wie ein Jäger im Wald auf das Wild wartet. Prahlerei, Verführung anderer Ehefrauen, Erniedrigung anderer im Übermaß von Stolz, Zornigkeit, Hinterlist und den Schutzbedürftigen ihren Schutz verwehren - diese sechs unheilsamen Taten werden oft von sündigen Menschen begangen, ohne die daraus entstehenden Leiden zu beachten. Wer die Befriedigung der Sinnesbegierden als ein Ziel im Leben betrachtet, wer den Egoismus liebt, wer aus Geiz seine Geschenke bereut, wer keine Wohltätigkeit üben kann, wer die von ihm Abhängigen durch übertriebene Forderungen quält, wer am Leid anderer seine Freude hat und wer seinen Ehepartner haßt - diese Sieben werden ebenfalls als unheilsam Handelnde bezeichnet. Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Selbstdisziplin, Askese, Freude am Wohl aller, Bescheidenheit, Mäßigung, All-Liebe, Opferbereitschaft, Wohltätigkeit, Beständigkeit und Weisheit, diese zwölf sind brahmanische Qualitäten. Wer diese zwölf gemeinsam erwerben kann, der wäre fähig, die ganze Erde zu beherrschen. Wer mit drei, zwei oder sogar mit einer von ihnen begabt ist, der sollte als reich an himmlischem Wohlstand betrachtet werden.

Selbstüberwindung, Entsagung und Selbsterkenntnis, darin liegt die Befreiung. Die Weisen sagen, daß diese Qualitäten besonders nah an der Wahrheit sind. Die Selbstüberwindung allein hat achtzehn Tugenden und befreit damit von den achtzehn Lastern der Unwissenheit im Tun und Lassen: Lüge, Böswilligkeit, Lüsternheit, Gierigkeit, Sinnesrausch, Wut, Trauer, Durst, Habgier, Täuschung, Freude am Elend anderer, Neid, Gewalttätigkeit, Bosheit, Gottlosigkeit, Gesetzlosigkeit, Verleumdung und schließlich die Selbstsucht. Wer diese überwunden hat, wird von den Weisen als ein Selbstkontrollierter bezeichnet. Diese achtzehn Fehler bilden zusammen das, was man Arroganz (Mada) nennt. Ihre Entsagung ist sechsfach. Wo es an dieser Entsagung fehlt, dort findet man jene menschliche Arroganz mit ihren achtzehn Tücken. Die sechs Arten der Entsagung sind alle lobenswert. Die dritte ist besonders schwer zu erreichen. Aber sie überwindet alle Sorgen. Wahrlich, wer diese Art der Entsagung verwirklichen kann, der löst alle weltlichen Gegensätze. Doch das lobenswerte Ziel sind alle sechs Arten der Entsagung:

Die erste entsagt dem Besitz von weltlichen Dingen und sucht keine Freude mehr darin. Die zweite ist das Aufgeben (der Früchte) von Opfern, Gebeten und frommen Taten. Die dritte, oh König, ist das Aufgeben des Begehrens, einschließlich des Wunsches, sich von der Welt zurückzuziehen. Wahrlich, infolge dieser dritten Art der Entsagung gelangt man jenseits aller Vorstellungen. Doch nur das ist Entsagung der Begierden, welches das Verlangen nach den Sinnesgenüssen zügelt, und nicht ihr Verwerfen, nachdem die Sinne übersättigt sind, noch ihr Ablehnen aus Gründen der Unfähigkeit oder Appetitlosigkeit. Die vierte Art der Entsagung besteht im Aufgeben der Früchte der eigenen Handlungen. Man soll sich nicht grämen oder mit Sorgen quälen, wenn eine Tat, trotz aller erdenklicher Tugenden und Fähigkeiten, erfolglos oder unvollkommen bleibt. Dann wird man nie erschüttert werden, wenn Unangenehmes geschieht. Die fünfte Art der Entsagung bezieht sich auf das Verlangen nach Söhnen, Ehefrauen und anderen geliebten Menschen. Die sechste Art besteht darin, alles mit Liebe hinzugeben, was das Leben fordert. Auf diese Weise erreicht man das Wissen vom Selbst. Diese Selbsterkenntnis schließt acht Qualitäten ein: Wahrhaftigkeit, Frieden, Sicht, Weisheit, Offenheit, Besitzlosigkeit, Reinheit und Unbestechlichkeit. Das Gegenteil von diesen Qualitäten sind die Fehler der Selbstsucht. Diese sollten vermieden werden. Denn wie die Selbsterkenntnis acht Tugenden hat, so hat die Selbstsucht acht Sünden. Wahrlich, diese sollten überwunden werden. So habe ich nun über Entsagung und Selbsterkenntnis gesprochen.

Oh Bharata, wer von den fünf Sinnen, dem Denken, sowie von Vergangenheit und Zukunft frei ist, der ist wahrlich befreit. Oh König, laß deine Seele der Wahrheit gewidmet sein. Denn alle Welten sind in der Wahrheit gegründet. Wahrheit wird als das Wesen von Selbstdisziplin, Entsagung und Selbsterkenntnis betrachtet. Die Fehler vermeidend, sollte man hier in der Welt reine Askese üben. Dies ist der Wille des Schöpfers, daß allein die Wahrheit das Gelübde der Rechtschaffenen sein soll. So wird reine Askese zusammen mit tugendhaftem Handeln zur Quelle des großen Wohlstandes. Damit habe ich dir einiges über diese Sünde zerstörenden und heilsamen Qualitäten erzählt, nach denen du mich gefragt hast, und die fähig sind, von Geburt, Tod und Alter zu befreien.

Dhritarashtra fragte:
Die Veden und Puranas beschreiben, daß das Höchste Wesen dieses ganze Weltall ist, mit allem Belebten und Unbelebten. Manche sehen eine Gottheit, andere zwei, drei oder vier. Wieder andere sehen Brahman als das einzig Existierende. Wer von ihnen besitzt das wahre Wissen von Brahman?

Sanatsujata sprach:
Es ist nur ein Brahman, und das ist die Wahrheit selbst. Es geschieht wegen der Unwissenheit, daß in diesem Einen verschiedene Gottheiten konzipiert werden, um bestimmte Aspekte zu beschreiben. Oh König, wer könnte die Wahrheit selbst oder das Brahman erfassen? Die Menschen sehen sich oft als Wissende, ohne das Eine zu kennen. Mit dem Wunsch nach Glück betreiben sie Studium, Wohltätigkeit und Opfer. Sie sind von der Wahrheit abgegangen und verfolgen eigennützige Zwecke. Sie schwören auf die Wahrheit der vedischen Texte und führen deshalb ihre Opferriten durch. Manche opfern das Denken (Meditation), andere die Worte (Rezitation) und wieder andere die Taten (Opferzeremonie). Wer jedoch das Brahman durch Wahrhaftigkeit sucht, der findet das Gesuchte in Allem (wo es zu Hause ist). Bis er es aber gefunden hat, möge er das Gelübde des Schweigens und ähnliche beachten. Doch als höchstes Gelübde sollte der nach Selbsterkenntnis Suchende stets die Wahrhaftigkeit bewahren.

Die Früchte der Erkenntnis erscheinen unmittelbar, die der Askese mit der Zeit. Ein Zweifachgeborener, der (ohne Erkenntnis und Askese) nur viel gelesen hat, sollte auch nur als ein großer Leser bekannt sein. Deshalb, oh Kshatriya, denke nie, daß man zum Brahmankenner wird, indem man nur die Schriften liest. Wer aber stets mit der Wahrheit verbunden ist, der sollte von dir als ein Kenner des Brahman betrachtet werden.

Oh Kshatriya, die Verse, die durch Atharvan zusammen mit anderen großen Weisen in alten Zeiten rezitiert wurden, sind als die heiligen Hymnen (Chhandas) bekannt. Glaube nicht, daß jene die heiligen Hymnen kennen, die nur die Veden gelesen haben, ohne die Erkenntnis von Ihm, der durch die Veden spricht. Doch diese Hymnen, oh Bester der Menschen, können das Mittel sein, um das Brahman zu erkennen, das Einzig und ohne Zweites ist. Glaube nicht, daß jene die heiligen Hymnen kennen, die nur die Opferriten gelernt haben, die in den Veden beschrieben wurden. Wer aber jenen mit Hingabe dient, welche die Veden kennen, wer könnte durch diese Tugend nicht zum Ziel der vedischen Erkenntnis gelangen?

Niemand kann die Wahrheit der Veden einfangen (im Netz des Verstandes). Und nur wenige, oh König, erkennen diese Wahrheit. Wer nur die Veden gelesen hat, der kennt noch nicht das, was durch die Veden erkennbar ist. Wer jedoch selbst in der Wahrheit gegründet ist, der weiß, worüber die Veden berichten. Unter jenen Fähigkeiten, die zur Wahrnehmung des Körpers als den Handelnden führen, gibt es keine, die zur Erkenntnis der Wahrheit fähig wäre. Auch durch das Denken allein kann das Selbst nie erkannt werden. Wer nur Wissen über das Selbst hat, der kennt es nicht. Wer aber im Selbst (in der Wahrheit) gegründet ist, der kennt es. Auch wer Beweise kennt, der kennt eben nur das, was bewiesen werden soll. Aber das Höchste Wesen von allem, kann weder von den Veden (vom Wissen) noch von den Kennern der Veden bewiesen werden. Dennoch können die Zweifachgeborenen durch das Studium der Veden nützliches Wissen über das erwerben, was durch die Veden erkannt werden kann. Denn wie man die Äste eines besonderen Baumes manchmal benutzt, um die Mondphasen zu erkennen, so werden auch die Veden verwendet, um auf das Höchste Wesen zu deuten.

Ich sehe jene als Kenner des Brahman, die das Selbst kennen und die alle eigenen Zweifel überwunden haben, bevor sie die Zweifel von anderen lösen wollen. Man kann das Selbst nicht finden, indem man im Osten, Süden, Westen, Norden, Oben oder Unten sucht. Und es kann kaum von denen gefunden werden, die diesen Körper als das Selbst betrachten. Nur jenseits aller Konzepte der Veden (des Wissens) kann der meditierende Yogi das Höchste schauen. Mögest auch du durch beständige Zügelung der Sinne und Gedanken das Brahman suchen, das in deiner Seele wohnt.

Nicht der ist ein Muni, der endlos meditiert, oder von der Welt zurückgezogen im Walde lebt. Nur wer sein Wesen erkannt hat, der ist ein Muni und jenseits von allem. So wie jener ein Semantiker genannt wird, der ein umfassendes Wissen hat und jedes Wort auf seine Wurzel zurückführen kann, so wird der ein Muni genannt, der jede Erscheinung auf ihre Wurzel im Brahman gründet. Der Mensch, der alle gegenwärtigen Erscheinungen kennt, wird als Universalgelehrter bezeichnet. Wer aber in der Wahrheit gegründet ist und das Brahman kennt, wird Brahmankenner und Allwissender genannt.

Auch ein Kshatriya, der solche Tugenden übt, kann Brahman schauen. Auch er kann dieses hohe Ziel erreichen, indem er Schritt für Schritt aufsteigt, wie es die Veden beschreiben. Dieses wahrhafte Wissen gebe ich dir.


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