Pushpak Mahabharata Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 181 – Die Belehrung der Schlange

Yudhishthira:
Du bist in dieser Welt so gelehrt in den Veden und Vedangas, sage mir, oh Schlange, was sollte man tun, um Erlösung zu erlangen?

Schlange:
Oh Nachfahre aus dem Geschlecht des Bharata, ich glaube, daß der Mensch, welcher Almosen an die Richtigen gibt, freundliche Worte spricht, die Wahrheit sagt und davon abläßt, andere zu verletzen, in den Himmel eingeht.

Yudhishthira:
Was ist lobenswerter: Ehrlichkeit oder Almosen geben? Sag mir auch, oh Schlange, was wichtiger ist: Freundschaft oder Friedfertigkeit.

Schlange:
Dies alles bringt relativen Verdienst, welcher vom objektiven Nutzen abhängt. Manchmal ist die Wahrheit lobenswerter als Taten der Nächstenliebe, manchmal sind Almosen empfehlenswerter als die wahrhafte Rede. So ist es auch mit der Enthaltung, anderen Leides anzutun, und mit freundlicher Rede, oh mächtiger König der Erde. Mal ist dieses wichtiger, mal das andere. Das kommt auf die Wirkung an. Hast du noch mehr Fragen? Sprich sie alle aus, ich werde dich belehren.

Yudhishthira:
Sag mir, oh Schlange, wie kann man den Aufstieg der unkörperlichen Wesen in den Himmel begreifen, ihre sinnliche Wahrnehmung und ihre Freuden an den zwangsläufigen Früchten ihrer Taten?

Schlange:
Durch eigene Taten erlangen die Menschen die Bedingungen für die drei möglichen Geburten als menschliche Existenz, als himmlisches Leben oder als Existenz in einem niederen, tierischen Bereich. Die Menschen, welche nicht faul sind, niemanden verletzen, milde Güte und andere Tugenden üben, gehen, nachdem sie die Welt der Menschen verlassen haben, in den Himmel ein. Handeln sie jedoch dem entgegen, werden sie erneut als Menschen oder Tiere wiedergeboren. Speziell betont wird, daß der Mensch, welcher der Wut und der Lust frönt und sich der Habgier und Böswilligkeit hingibt, von seinem menschlichen Status abfällt und als Tier wiedergeboren wird. Und die Tiere sind bestimmt, irgendwann wieder in den menschlichen Status zu gelangen, wobei Kühe, Pferde und noch einige andere Tiere sogar in den göttlichen Status kommen können. Nun mein Sohn, so erntet das fühlende Wesen die Früchte seiner Taten und wandert (als Seele) durch diese Zustände. Die Zweifachgeborenen und Weisen jedoch lassen ihre Seele im ewigwährenden Höchsten Geist ruhen. Wogegen der Geist, der am Körperlichen haftet eine Geburt nach der anderen durchwandert, die Früchte seiner eigenen Taten erntet und in den Ketten des Schicksals verstrickt ist. Doch wer den eigenen Taten nicht mehr anhängt, ist sich des unveränderlichen Schicksals aller geborenen Wesen bewußt.

Yudhishthira:
Oh Schlange, sag mir aufrichtig und ohne mich zu verwirren, wie der (vom Körper getrennte) Geist Kenntnis von Klang, Berührung, Form, Geruch und Geschmack erlangt? Oh du mit dem großen Geist, empfängst du sie nicht gleichzeitig mit den Sinnen? Oh antworte mir.

Schlange:
Oh Langlebiger, das, was Atman genannt wird, bedient sich des Körpers als Wohnsitz, manifestiert sich in den Sinnesorganen und hat Kenntnis von den wahrnehmbaren Objekten. Wisse, oh Prinz aus dem Geschlecht des Bharata, daß die Sinne, das Denken und der Intellekt (bzw. die Vernunft) der Seele bei der Wahrnehmung der Objekte behilflich sind, welche Karanas genannt werden. Der ewige Geist verläßt seine (reine) Sphäre und mithilfe des Denkens handelt er durch die Sinne, diese Tore aller Wahrnehmungen, und empfängt dadurch Klang, Form, Geschmack und Geruch. Das Denken der lebenden Wesen ist die Ursache für alle Wahrnehmung und kann daher nicht mehr als eine Sache gleichzeitig wahrnehmen. Nur wenn sich die Seele im Raum zwischen den Augenbrauen sammelt, kann sie verschiedene Objekte (gleichzeitig) mit dem niederen und dem höheren Intellekt umschließen. Und was die Yogis jenseits der Wirkung dieses intelligenten Prinzips erkennen, das ist es, was alle Handlungen der Seele manifestiert..

Yudhishthira:
Erkläre mir die Unterschiede zwischen Geist und Denken, denn diese Erkenntnis wird als entscheidend für jene angesehen, die über den Höchsten Geist meditieren.

Schlange:
Aufgrund von Illusion wird die Seele zum Sklaven des Denkens. Obwohl das Denken eigentlich der Seele dienen sollte, wird es doch zum Herrscher über sie. Das Denken kommt durch die Handlungen der Wahrnehmung ins Spiel. Der Geist ist selbstexistent und nicht die Ursache von Freude und Leid. Das Denken ist deren Ursache. Dies, mein Sohn, ist der Unterschied zwischen Geist und Denken. Auch du bist gelehrt in dieser Sache. Was meinst du dazu?

Yudhishthira:
Oh du Kluger, dein Verstand ist scharf, und du weißt alles, was man wissen sollte. Warum befragtest du mich? Du wußtest doch alles, hast wunderbare Taten vollbracht und lebtest im Himmel. Wie konnte dich die Illusion überwältigen? Das läßt mich zutiefst zweifeln.

Schlange:
Der Wohlstand vergiftet sogar weise und entschlossene Menschen. Wer im Luxus lebt, verliert schon bald seine Vernunft. So wurde auch ich von der törichten Seite des Wohlstandes überwältigt und fiel von meinem hohen Wohnsitz herab. Doch nun, nachdem ich meine Bewußtheit wiedererlangt habe, kann ich dich belehren, oh Yudhishthira. Nun, siegreicher König, du hast mir Gutes getan. Durch die Unterhaltung mit dir Frommem, hat sich mein schmerzhafter Fluch erschöpft. Damals, als ich in einem himmlischen Wagen durch die göttlichen Bereiche reiste und dabei in Hochmut schwelgte, dachte ich an nichts anderes. Ich forderte den Tribut der himmlischen Wesen und aller anderen Bewohner der drei Welten. Auf meinen Augen lag ein Bann, so daß ich allen Wesen, die ich nur anschaute, die Kraft nahm. Tausende Brahmarshis zogen meinen Wagen, und diese Schandtat war die Ursache meines tiefen Falls. Unter denen, die mich zogen, war Agastya, und ich berührte ihn mit meinem Fuß. Da verfluchte er mich im Zorn und sprach: „Ruin ergreife dich! Werde zur Schlange!“ So verlor ich alle Pracht und fiel von Wagen und Status mit dem Kopf voran als Schlange hinab. Ich flehte den Brahmanen an: „Oh Verehrungswürdiger, möge der Fluch enden. Vergib mir törichtem Narr!“ Und freundlich versicherte er mir, daß der tugendhafte König Yudhishthira mich vom Fluch befreien, damit die gräßliche Sünde des Hochmuts ausgelöscht, und ich wieder erlöst sein würde. Voller Staunen erkannte ich seine Macht der großen Tugenden und fragte dich daher nach den Eigenschaften vom Höchsten Geist und der Brahmanen. Wahrhaftigkeit, Güte, Selbstkontrolle, Enthaltsamkeit, Friedfertigkeit und in all diesen Tugenden beständig sein – dies sind die Mittel, mit denen man nach Erlösung strebt, und nicht die Abstammung oder familiäre Beziehungen. Möge dieser starke Bruder von dir, Bhimasena, auf ein gutes Schicksal treffen! Möge in dir immer das Glück leben! Ich muß nun wieder in den Himmel gehen.

Nach diesen Worten verließ König Nahusha seine Schlangengestalt, und stieg in himmlischer Form in die göttlichen Bereiche auf. Der fromme Yudhishthira kehrte mit Dhaumya und Bhima in die Einsiedelei zurück, und erzählte den dort versammelten Brahmanen ausführlich, was geschehen war. Auch seine drei anderen Brüder und Draupadi hörten zu und schämten sich sehr. Die Brahmanen rügten Bhima wegen seiner Verwegenheit und ermahnten ihn, so etwas nie wieder zu tun, denn sie waren um das Wohl der Pandavas besorgt. Doch gleichzeitig waren die Pandavas froh, daß Bhima außer Gefahr war, und lebten schon bald ungestört weiter im schönen Wald.

Hier endet mit dem 181.Kapitel das Ajagara Parva des Vana Parva im gesegneten Mahabharata.


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