Pushpak Mahabharata Buch 2Zurück WeiterNews

Kapitel 68 – Der Disput geht weiter

Bhima sprach:
Oh Yudhishthira, Spieler haben in ihrem Haus viele Frauen mit losem Charakter, doch sie setzen sie nicht, denn sie sind ihren Frauen freundlich gesinnt. Der König von Kasi gab soviel Reichtum aller Art, Juwelen, Tiere, Rüstungen, Waffen und vieles mehr, was auch die anderen Könige der Erde gaben. Nun hat der Feind all dies, unser Königreich, dich selbst und uns auch gewonnen. Doch all dies hat meinen Zorn nicht erregt, denn du bist unser Herr. Doch daß du Draupadi gesetzt hast, das erachte ich als höchst unanständige Tat. Das unschuldige Mädchen verdient diese Behandlung nicht von uns als ihren Ehemännern. Nur wegen dir wird sie nun von den gemeinen, verabscheuungswürdigen, grausamen und niederträchtigen Kauravas geschunden. Wegen ihr fällt mein Zorn auf dich. Ich sollte deine Hände verbrennen. Sahadeva, bring mir Feuer.

Doch Arjuna sprach:
Bhima, niemals zuvor hast du so etwas gesagt. Deine hohe Moral muß von diesen grausamen Feinden zerstört worden sein. Erfülle nicht die Wünsche des Feindes. Übe hohe Moral. Wem steht es zu, den tugendhaften älteren Bruder zu verletzen? Der König wurde vom Feind gerufen, und er folgte der Kshatriya Moral, indem er seinen Willen bezwang und dieses Spiel ertrug. Dies ist sicherlich unserem großen Ruhm förderlich.

Bhima antwortete:
Ich war mir nicht bewußt, oh Arjuna, daß der König den Gebräuchen der Kshatriyas folgte, sonst hätte ich schon mit ganzer Kraft seine Hände gepackt und sie im lodernden Feuer verbrannt.

Als nächstes meldete sich Vikarna, der Sohn Dhritarashtras, zu Wort, als er die erregten Pandavas und die weinende Draupadi sah:
Ihr Könige, beantwortet die Frage, die Draupadi gestellt hat. Wenn wir ein an uns herangetragenes Problem nicht entscheiden, gehen wir sicherlich alle zusammen in die Hölle ein. Wie kann es sein, daß die Älteren des Kuru Geschlechts, wie Dhritarashtra oder der hochbeseelte Vidura, nichts dazu sagen? Drona und Kripa, unsere Lehrer, sind hier. Warum beantworten diese Besten der Zweifachgeborenen nicht die Frage? Laßt die Könige einer nach dem anderen ihre Meinung dazu sagen und dabei alle gewinnsüchtigen oder verärgerten Motive beiseite lassen. Ihr Könige, antwortet der gesegneten Draupadi auf ihre Frage und sprecht nach reiflicher Überlegung aus, auf welcher Seite ihr steht.

So drang Vikarna immer und immer wieder in all die versammelten Könige. Doch kein Wort, weder böse noch gut, wurde ihm zur Antwort gegeben. Schließlich rieb der Prinz seine Hände aneinander, zischte wie eine Schlange und sprach:
Könige der Erde, Kauravas, ob ihr mir nun antworten wollt oder nicht, ich werde aussprechen, was ich für gerecht und angemessen halte. Ihr vorzüglichen Männer wißt, was gesagt wird. Daß nämlich Jagen, Trinken, Spielen und übermäßiger Genuß von Frauen die vier Laster von Königen sind. Ein Mann, der nach diesen vier süchtig ist, lebt ohne Tugend. Und die Menschen respektieren nicht die Taten eines Mannes, der in untugendhafte Handlungen verstrickt ist. Der Sohn des Pandu war zutiefst ins üble Spiel verstrickt, zu dem ihn betrügerische Spieler gedrängt hatten, als er Draupadi setzte. Doch die unschuldige Draupadi ist die gemeinsame Gattin aller fünf Brüder. Zuerst verlor der König sich selbst, und dann erst setzte er seine Frau. Außerdem hat ihn der wettbegierige Sohn von Suvala hartnäckig dazu gedrängt. Wenn ich auf diese Weise alle Umstände bedenke, erachte ich Draupadi nicht als gewonnen.

Nach diesen Worten erhob sich ein lauter Tumult in der Halle und alle Könige lobten Vikarna, während sie Shakuni tadelten. Doch Karna, der Sohn von Radha, wurde durch das zustimmende Getöse höchst ärgerlich. Er schwenkte seine wohlgeformten Arme und rief:
Oh Vikarna, viele gegnerische und widersprüchliche Einflüsse sind in dieser Versammlung zu vernehmen. Wie ein Holzbündel erst das Feuer nährt und dann von ihm verschlungen wird, so wird dich dein Zorn verschlingen. Es gibt hier viele Männer, die kein Wort gesprochen haben, obwohl Draupadi sie drängte. Sie alle finden, daß die Tochter von Drupada rechtens gewonnen wurde. Du allein brichst in Zorn aus und sprichst hier wie ein Alter, obwohl du noch ein unreifer Junge bist. Oh jüngerer Bruder von Duryodhana, du weißt nicht, was Moral ist, wenn du behauptest, daß Draupadi nicht gewonnen wurde, wo doch alles rechtens war. Oh Sohn des Dhritarashtra, wie kannst du dies sagen, wo doch der Älteste der Pandavas vor dieser Versammlung all seinen Besitz gesetzt hat? Und Draupadi gehört zu diesem Besitz von Yudhishthira. Warum meinst du nun, Krishna wäre nicht gewonnen? Draupadi wurde als Einsatz vorgeschlagen und die Pandavas haben zugestimmt. Aus welchem Grund bist du anderer Meinung? Wenn du denkst, daß es eine unangemessene Handlung war, sie hierher zu bringen in nur einem Kleid, dann höre meine guten Gründe an. Oh Sohn der Kurus, die Götter haben für eine Frau nur einen Ehemann bestimmt. Doch Draupadi hat mehrere Gatten. Daher ist sie bestimmt eine unzüchtige Frau. So sollte ihr Anblick in nur einem Kleid oder sogar unbedeckt niemanden verwundern. All der Reichtum der Pandavas, sie selbst und Draupadi wurden rechtens durch Shakuni gewonnen. Oh Dushasana, die scheinbar weisen Worte von Vikarna sind nur die eines Jungen. Zieh den Pandavas und auch Draupadi ihre Kleider aus!

Dushasana versucht, Draupadi zu entkleiden

Nach diesen Worten legten die Pandavas ihre Oberkleider ab und warfen sie vor allen Königen zu Boden. Und Dushasana ergriff mit Gewalt Draupadis Kleid und wollte es ihr vor aller Augen vom Körper reißen. Doch jene schrie vor Entsetzen auf, dachte an Hari und flehte laut:
Oh Govinda, oh du, der du in Dwaraka lebst, oh Krishna, der du die Hirtinnen magst, oh Kesava, siehst du nicht, daß die Kauravas mich erniedrigen? Oh Herr, Gatte der Lakshmi, Herr von Vraja, Vernichter aller Leiden, oh Janarddana, rette mich, bevor ich im Ozean der Kauravas versinke! Oh Krishna, oh Krishna, du großer Yogi, du Seele des Universums, du Schöpfer aller Dinge, oh Govinda, errette mich Bedrängte, die inmitten der Kauravas ihre Sinne verliert!

Dann bedeckte die strahlend schöne Dame zitternd ihr Gesicht, schrie laut auf und dachte an Krishna, Hari, den Herrn der drei Welten. Krishna vernahm tief bewegt die Worte von Draupadi. Der Wohltätige verließ seinen Sitz und kam zu Fuß herbei. Und während Draupadi laut nach Krishna um Schutz rief, bedeckte dieser Unsichtbare, auch Vishnu, Hari, Nara oder der ruhmreiche Dharma genannt, die um Hilfeflehende mit wunderschönen Kleidern in allen Farben. Und als Dushasana das eine Kleid von Draupadi abgerissen hatte, kam ein anderes zum Vorschein, welches sie bedeckte. So ging es immer fort, sobald ihr ein Kleid entrissen wurde, wurde das nächste sichtbar, bis viele, viele Kleider zum Vorschein kamen. Der Schutz von Dharma gewährte hundert über hunderte farbige Kleider für Draupadi. Da erhob sich ein tiefes Dröhnen von vielen Stimmen in der Halle. Die Könige erkannten den außergewöhnlich wundersamen Anblick und klatschten Draupadi Beifall, während sie gleichzeitig den Sohn Dhritarashtras verurteilten.

Draupadi ruft Krishna zur Hilfe

Und Bhima quetschte seine Hände zusammen und schwor laut und mit zornig zitternden Lippen vor allen Königen einen schrecklichen Eid.

Bhima sprach:
Hört meine Worte, ihr Kshatriyas dieser Erde. Hört die Worte, die niemals zuvor von einem Mann ausgesprochen wurden oder jemals in Zukunft erklingen werden. Ihr Herren der Erde, wenn ich diesen Schwur nicht erfüllen werde, dann möge ich niemals den Pfad meiner Ahnen wandern. In der Schlacht werde ich mit schierer Kraft die Brust dieses Lumpen zerreißen und das Blut dieses Niedrigsten aller Schurken der Bharatas trinken.

Die schrecklichen Worte Bhimas ließen den Königen in der Versammlung die Haare zu Berge stehen. Dushasana versuchte noch eine Weile, Draupadi die Kleider vom Leib zu reißen, doch nach ganzen Bergen von Kleidern wurde er müde und ließ beschämt von ihr ab. Alle Zuschauer beschimpften ihn, und die vereinten Rufe „Schande!“ wurden so laut, daß sie zum Fürchten waren. Die ehrbaren Männer in der Versammlung sprachen zueinander: „Weh, die Kauravas beantworten nicht die Frage von Draupadi!“, und der Aufruhr gegen Dhritarashtra wurde immer lauter. Endlich schwenkte Vidura, dieser Meister in der Kunst der Moral, seine Arme, und als Stille eingetreten war, begann er zu sprechen.

Vidura sagte:
Seht alle, wie Draupadi hilflos weint. Sie hat euch eine Frage gestellt, und ihr antwortet nicht. Durch solches Verhalten schwinden Tugend und Moral. Wenn eine bedrängte Person die Versammlung guter Menschen aufsucht, dann gleicht sie einer, die vom Feuer verbrannt wird. Löscht dieses Feuer und kühlt die Hilflose durch Wahrhaftigkeit und Moral. Die Hilfesuchende verlangt nach ihren Rechten. Und unbewegt von eigenen Interessen und Zorn sollte die Versammlung ihre Frage beantworten. Nun ihr Könige, Vikarna hat seine Meinung gesagt wie es seinem Wissen und seiner Urteilskraft entsprach. Jetzt solltet ihr sagen, was eurer Meinung nach angemessen ist. Ihr kennt die Regeln der Moral und kamt in diese Versammlung. Wer hier die Frage nicht beantwortet, bekommt die halbe Schuld einer Lüge aufgeladen. Und wer falsch antwortet, begeht die Sünde einer Lüge. Die Gelehrten zitieren in diesem Zusammenhang die alte Geschichte von Prahlada und dem Sohn von Angiras.

Die Geschichte von Prahlada und den streitenden Bräutigams

Es war vor langer Zeit, daß der Anführer der Daityas, Prahlada, einen Sohn namens Virochana besaß, und jener mit Sudhanwan, dem Sohn von Angiras, um eine Braut stritt. Es wird berichtet, daß die beiden sich unablässig gegenseitig zu übertrumpfen suchten, und jeder der beiden ständig behauptete: „Ich bin besser!“, „Nein, ich bin besser!“, weil jeder die Braut haben wollte. Nach einer Weile machten die beiden Prahlada zum Schiedsrichter in ihrem Streit. Er sollte entscheiden, und so sprachen sie zu ihm: „Wer von uns beiden ist besser? Beantworte uns die Frage und sprich nichts Falsches!“ Prahlada fürchtete den Streit und blickte auf Sudhanwan. Doch Sudhanwan brannte im Zorn und sprach wie der Stab Yamas zu ihm: „Wenn du falsch oder gar nicht antwortest, wird dein Kopf vom Blitz Indras getroffen in hundert Teile zerspringen.“ Zitternd wie das Blatt eines Feigenbaumes ging da Prahlada zum energetischen Kasyapa, um sich mit ihm zu beraten. Prahlada sprach zu ihm: „Du Ruhmreicher und Hoher bist voll und ganz mit den Regeln der Moral vertraut, welche sowohl Asuras als auch Götter und Brahmanen leiten sollte. Ich bin in einer schwierigen Situation und an die Pflicht gebunden. Sag mir, welche Regionen erlangt der, der auf eine Frage gar nicht oder falsch antwortet?“

Kasyapa sprach: „Wer weiß und eine Frage aus Zuneigung, Ärger oder Furcht nicht beantwortet, lädt tausend Pashas (Waffen, Schlingen) von Varuna auf sich. Ebenso geschieht es dem, der als Augen- oder Ohrenzeuge befragt wird und sorglos antwortet. Es dauert ein ganzes Jahr, bis sich ein Pasha erschöpft hat. Deshalb sollte der Wissende die Wahrheit sprechen und nichts verheimlichen. Wenn die Tugend von Sünde durchbohrt eine Versammlung um Hilfe bittet, dann ist es die Pflicht eines jeden in der Versammlung, den Pfeil zu entfernen. Sonst wird er vom selben Pfeil durchbohrt. Wenn in einer Gemeinschaft eine wahrlich tadelnswerte Handlung nicht gerügt wird, dann legt sich die halbe Sünde auf die Anführer der Gemeinschaft, ein Viertel auf die übel handelnden Personen und ein Viertel auf alle anderen Anwesenden. Doch wenn der Übeltäter getadelt wird, dann bleiben alle in der Versammlung ohne Sünde und nur der Übeltäter ist verantwortlich für seine Tat. Oh Prahlada, wer eine Frage über Moral falsch beantwortet, vernichtet die verdienstvollen Taten von sieben Generationen vor und nach ihm. Der Kummer von einem, der allen Wohlstand oder einen Sohn verloren hat, das Leid eines Schuldners oder von einem, der von seinen Gefährten getrennt ist, die Not einer Ehefrau, die ihren Gatten verloren hat, oder von einem, der auf Befehl des Königs nichts mehr hat, die Pein einer unfruchtbaren Frau, die Schmerzen von einem, der gerade von einem Tiger zerfleischt wird, das Leiden einer Nebenfrau oder von einem, der seinen Besitz durch falsche Zeugen verliert – diese sind von gleicher Art, sagen die Götter. Und all diese verschiedenen Qualen erleidet der, welcher falsch spricht. Ein Mensch wird durch Sehen, Hören und Verstehen zum Zeugen. Und ein Zeuge sollte immer die Wahrheit sprechen. Dann verliert er niemals seine religiösen Verdienste und irdischen Besitztümer.“

Nach diesen Worten Kasyapas sprach Prahlada zu seinem Sohn: „Sudhanwan ist besser als du, denn sein Vater Angiras ist höher gestellt als ich. Auch Sudhanwans Mutter ist höher gestellt als deine Mutter. Erkenne, oh Virochana, daß Sudhanwan der Herr deines Lebens ist.“ Zu dieser Antwort Prahladas sprach Sudhanwan: „Weil du unbeeinflußt durch die Liebe zu deinem Kind der Tugend gefolgt bist, befehle ich, daß dein Sohn hundert Jahre leben möge.“

Und Vidura schloß:
Nun sollen alle Anwesenden hier über die Antwort zu Draupadis Frage nachdenken, nachdem sie diese höchste Wahrheit über Moral vernommen haben.

Doch die Könige sprachen kein Wort. Nur Karna wandte sich an Dushasana und sagte zu ihm:
Bring die Dienerin Draupadi in die inneren Gemächer zurück.

Und wieder legte Dushasana vor allen Zuschauern Hand an die hilflose und sittsame Draupadi, welche zitternd und mitleidvoll ihre Gatten um Hilfe rief.


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