Pushpak Mahabharata Buch 18Zurück WeiterNews

Kapitel 2 – Der Gang durch die Hölle

Yudhishthira fuhr fort:
Ihr Götter, nirgends sehe ich Karna, meine hochbeseelten Brüder oder Yudhamanyu und Uttamaujas, diese großen Wagenkrieger, die ihre Körper ins Opferfeuer der Schlacht ergossen, all die Könige und Prinzen, die den Tod fanden, als sie für mich kämpften. Wo sind die großen Helden mit dem Heldenmut von Tigern? Haben sie diese Region gewonnen? Denn wisset, ihr Götter, nur wenn sie hier leben, werde ich mit ihnen hier wohnen. Ohne sie werde ich nicht hier bleiben. Nach der Schlacht sprach meine Mutter während der Wasserriten zu mir: „Opfere du für Karna.“ Seither brenne ich im Kummer. Auch quält es mich, daß ich einst die Ähnlichkeit zwischen Mutters und Karnas Füßen bemerkte und mich nicht sofort unter den Befehl meines älteren Bruders stellte, dieses Bezwingers aller Feinde. Wären wir mit Karna vereint gewesen, hätte uns nicht einmal Indra in der Schlacht besiegen können. Wo immer der Sohn der Sonne sein mag, ich möchte ihn sehen. Ach, ich ließ es geschehen, daß Arjuna ihn tötete, weil ich nicht um unsere Verwandtschaft wußte. Und ich möchte auch den unerschrockenen Bhima sehen, der mir lieber ist als mein Leben, und Arjuna, der Indra gleicht, und die Zwillinge, die an Mut dem Vernichter selbst glichen, und die Prinzessin von Panchala mit dem allseits guten Betragen. Ich möchte hier nicht bleiben, das ist die Wahrheit, ihr Götter. Denn was ist mir der Himmel, wenn ich von meinen Brüdern getrennt bin? Wo meine Brüder sind, das ist mir der Himmel. Und nicht hier, dessen bin ich mir sicher.

Die Götter sprachen:
Wenn du es wünschst, so geh denn dorthin. Auf Geheiß des Anführers der Götter sind wir bereit zu tun, was du begehrst.

So geboten die Götter einem himmlischen Boten:
Zeige Yudhishthira seine Freunde und Verwandten.

Und der Bote und Yudhishthira gingen gemeinsam los, der Bote den Weg weisend. Der Pfad war unglücksverheißend, schwer zu begehen und von Menschen mit sündigen Taten erfüllt. Es wurde dunkel, und der Boden war mit Haar und schlammigem Moos anstelle von weichem Gras bedeckt. Der Gestank von Sünde verpestete die Luft, es gab Schlamm aus Fleisch und Blut, und die Stechmücken und Schmeißfliegen stoben in Schwärmen auf. Bären griffen ständig an, verfaulte Leichen lagen hier und da herum. Zwischen deren Knochen und Haaren wimmelten die Würmer und Insekten. Ein loderndes Feuer begrenzte den Weg, und Krähen und Geier mit eisernen Schnäbeln verseuchten die Gegend ebenso wie böse Geister mit langen, spitzen Mündern wie Nadeln. Kein Ausweichen war möglich, und lang war der Weg. Immer mehr gräßliche Leichname lagen herum mit Blut und Fett beschmiert, Arme und Beine abgerissen oder mit heraushängenden Därmen. Yudhishthira schritt nachdenklich diesen stinkenden und schrecklichen Pfad entlang. Dann sah er einen schwer zu überquerenden Fluß mit kochendem Wasser und einen Wald mit Bäumen, deren Blätter scharfe Klingen und Messer waren. Es gab weite Ebenen mit heißem, weißen Sand und Felsen und Steinen aus glühendem Eisen. Er sah auch viele Krüge mit kochendem Öl darin, die zwischen Bäumen voller Dornen und Stacheln standen. Jede Berührung mußte qualvolle Schmerzen verursachen, und Yudhishthira sah auch, welche elenden Strafen an Sündern verübt wurden.

In dieser gräßlichen Gegend, in der jede Art des Leidens anzutreffen war, fragte Yudhishthira den Boten:
Wie lange werden wir diesen Pfad noch weitergehen? Bitte sage mir, wo meine Brüder sind. Und ich möchte auch erfahren, welche himmlische Region dies ist.

Der Bote hielt an und antwortete:
Du bist angekommen. Die Bewohner des Himmels geboten mir, so weit zu gehen und dann anzuhalten. Bist du erschöpft, kannst du mit mir zurückkehren.

Yudhishthira war ganz gelähmt und ekelte sich vor dem faulen Gestank. Er wollte hier weg und kehrte sich voller Kummer und Sorge um. Doch da hörte er mitleidvolles Klagen ringsumher:
Oh Sohn des Dharma, du königlicher Weiser mit der heiligen Herkunft, Sohn des Pandu, verweile noch einen Moment und erweise uns deine Gunst. In deiner Nähe, oh Unbesiegbarer, erhebt sich eine köstliche Brise, die den lieblichen Geruch deiner Person zu uns herüberweht. Wie sehr schafft uns das Erleichterung. Oh bester König, wie groß ist unser Glück, dich hier zu sehen. Oh Sohn der Kunti, bleib noch ein wenig hier und verlängere unsere Labsal um einen kurzen Augenblick. Denn so lange du hier bist, sind unsere Qualen gelindert.

Diese und viele andere Worte drangen an die Ohren des Königs von vielen, schmerzgepeinigten Stimmen aus allen Richtungen. Aus mitfühlendem Herzen rief da Yudhishthira: „Oh, welche Pein!“, und blieb still stehen. Die Stimmen der leidgeplagten Wesen kamen ihm bekannt vor, doch erkennen konnte er sie nicht. So fragte er: „Wer seid ihr? Und warum seid ihr hier?“ Da kamen die Antworten von allen Seiten: „Ich bin Karna.“ - „Ich bin Arjuna.“ - „Ich bin Bhima.“ - „Ich bin Nakula.“ - „Ich bin Sahadeva.“ - „Ich bin Draupadi.“ – „Und wir ihre Söhne.“ – „Ich bin Dhrishtadyumna.“ –so meldeten sich alle seine Lieben.

Da fragte sich Yudhishthira an diesem elenden und schmerzgeplagten Ort:
Welch verdrehtes Schicksal ist das? Welch sündige Taten haben meine lieben Verwandten begangen, daß ihnen dieser gräßlich stinkende und qualvolle Ort als Wohnstätte zugewiesen wurde? Ich kann mich an keine Übertretung besinnen, die diesen gerechten Personen zugeschrieben werden könnte. Und welche Tat brachte König Duryodhana mit seinen Brüdern in solch herrliche Bereiche? Wie Indra selbst wird er dort verehrt. Und warum fielen diese Hochbeseelten in die Hölle? Sie alle folgten ihren Pflichten, waren Helden und der Wahrheit und den Veden ergeben, handelten gerecht, opferten und schenkten großzügig den Brahmanen. Träume oder wache ich? Bin ich ohnmächtig oder bewußt? Ist dies vielleicht eine geistige Täuschung oder eine Verwirrung meines Verstandes?

Überwältigt von Sorge und verwirrten Sinnen wälzte Yudhishthira lange solche Gedanken hin und her. Dann erfüllte ihn der Zorn, und er tadelte die Götter und sogar Dharma selbst. Wankend unter dem gräßlichen Gestank sprach er schließlich zum Boten:
Geh zurück zu dem, der dich gesandt hat. Sag ihm, daß ich nicht zu den Göttern zurückkehre, sondern hier bleiben werde, damit ich mit meiner Anwesenheit meine gequälten Brüder trösten kann.

So kehrte der himmlische Bote zu Indra, dem Gott der hundert Opfer zurück, und meldete ihm den Entschluß Yudhishthiras und alles, was der Sohn Dharmas gesprochen hatte.


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