Pushpak Mahabharata Buch 15Zurück WeiterNews

Kapitel 3 – Dhritarashtra möchte sich in den Wald zurückziehen

Vaisampayana sprach:
Die Menschen im Kuru-Reich konnten keinerlei Hinterlist, sondern nur Herzlichkeit zwischen Yudhishthira und dem Vater von Duryodhana erkennen. Doch wenn Dhritarashtra an seinen Sohn Duryodhana dachte, da konnte er nicht anders, als gleichzeitig ablehnend an Bhima zu denken. Und Bhima ging es ebenso. Mit einem scheinbar harten Herzen war es ihm nicht möglich, König Dhritarashtra zu vergeben. Im Geheimen lebte Bhima diese Abneigung aus, indem er untreue Diener dazu brachte, die Befehle des alten Monarchen zu mißachten. Bis er sich eines Tages inmitten seiner Freunde und vor Dhritarashtra und Gandhari wütend auf die Arme schlug, weil er an seine alten Feinde Duryodhana, Karna und Dushasana denken mußte. Er gab dem aufwallenden Zorn nach und rief folgende, verletzende Worte:
Ich habe alle Söhne des blinden Königs mit meinen beiden starken Armen in die andere Welt geschickt, obwohl sie mit allen Arten von Waffen kämpften. Ja, wer in die Reichweite meiner Arme kommt, die schweren Eisenkeulen gleichen, der trifft wie die Söhne Dhritarashtras auf Vernichtung. Oh schaut nur auf meine wohlgeformten, runden Arme, die wie Elefantenrüssel sind. Durch sie sind alle törichten Söhne Dhritarashtras gestorben. Sie verdienen allen Schmuck und kostbare Sandelpaste, denn durch sie wurden Duryodhana und seine Brüder mit allen Söhnen in die andere Welt geschickt.

Bhimas Worte waren wie schmerzhafte Pfeile für König Dhritarashtra, und ihn überwältigten Trauer und Verzweiflung. Während Königin Gandhari Bhimas Worte überhörte, denn sie war pflichtbewußt und sehr klug und wußte genau, was die Zeit vermag. Doch auch nach fünfzehn Jahren Behaglichkeit bohrten sich nun diese Wortpfeile von Bhima in Dhritarashtras Herz. Weder Yudhishthira, noch Arjuna, die Zwillinge, Kunti oder die ruhmreiche Draupadi wußten etwas davon. Sie hatten all die Zeit dem König freudig gedient, ihm alle Wünsche erfüllt und nie etwas gesagt, was ihn verletzt hätte.

Kurz darauf ehrte Dhritarashtra seine engsten Freunde mit seinem Vertrauen und sprach zu ihnen mit Tränen in den Augen:
Wie das Geschlecht der Kurus verging, ist euch wohl bekannt. Es war mein Versagen, denn die Kauravas folgen all meinen Worten. Ich war ein Narr, als ich Duryodhana den Thron übergab, damit dieser Terror seiner Familie über das Reich herrsche. Krishna sagte zu mir: „Dieser übelgesinnte Mann wird mit all seinen Freunden und Beratern untergehen.“ Ich hörte nicht auf die wahren Worte. Alle weisen Menschen gaben mir dieselben, segensreichen Ratschläge: Vidura, Drona, Bhishma und Kripa. Auch der heilige Vyasa und Sanjaya und Gandhari wiederholten es immer und immer wieder. Doch durch die vernarrte Liebe zu meinem Sohn konnte ich ihren Ratschlägen nicht folgen. Bittere Reue ist nun mein Los für diese Weigerung. Ich bereue, daß ich das strahlende Reich meiner Vorväter damals nicht den ruhmreichen und fähigen Pandavas übergab. Krishna sah den Untergang der Könige voraus und erachtete ihn als höchst lobenswert (um die Erde von ihrer Last zu befreien). Zahllose Krieger meiner Truppen wurden vernichtet. Weh, mein Herz wird deswegen von tausend Pfeilen durchbohrt. Und so übelgesinnt wie ich bin, wünsche ich erst jetzt, nach 15 Jahren, meine Sünden zu tilgen. Schon einige Zeit esse ich nur im vierten Teil oder im achten Teil des Tages ein wenig oder lösche nur meinen Durst. Dies ist mein Gelübde. Gandhari weiß es schon. Die Dienerschaft denkt, ich esse wie sonst. Nur aus Sorge um Yudhishthira habe ich dies geheim gehalten, denn wenn der älteste Sohn des Pandu von meinem Gelübde erfährt, wird er großen Schmerz fühlen. Ich hülle mich in Hirschfelle, lege mich auf die Erde nieder auf ein wenig Kusha-Gras, und verbringe meine Zeit in stiller Meditation. Die ruhmreiche Gandhari macht es mir nach. Und wir tun dies, weil wir einhundert Söhne verloren haben, von denen keiner aus der Schlacht heimkehrte. Doch ich traure nicht um meine gefallenen Kinder. Sie alle starben in Erfüllung ihrer Kshatriya-Pflichten.

Dann wandte sich der alte König an Yudhishthira und sprach:
Sei gesegnet, du Sohn einer Prinzessin aus dem Yadu Geschlecht. Höre, was ich sage. In deiner Fürsorge habe ich die letzten Jahre glücklich gelebt. Mit deiner Hilfe habe ich große Geschenke gemacht und viele, viele Sraddhas ausgeführt. Nach besten Kräften habe ich Verdienst angesammelt, und auch Gandhari hat ohne ihre Söhne in großem Glück gelebt und nach mir gesehen. Alle diese grausamen Männer, die dir und Draupadi so übel mitgespielt haben und dich deiner Herrschaft beraubten, sind in der großen Schlacht auf Kshatriya- Art gefallen. Für sie kann ich nichts mehr tun, oh Entzücken der Kurus. Sie fielen mit dem Gesicht zum Feind und gelangten alle in die Bereiche Indras, welche für tapfere Helden unter Waffen sind. Nun sollte ich so handeln, daß es für mich und Gandhari Gutes wirkt. Es ziemt sich für dich, mir dies zu gewähren. Du bist der Gerechteste und immer der Gerechtigkeit ergeben. Der König ist der Lehrer aller Geschöpfe. Aus gutem Grunde spreche ich so zu dir. Mit deiner Erlaubnis, oh Held, werde ich mich allein mit Gandhari in die Wälder zurückziehen und in Lumpen und Bast kleiden. Ich werde im Wald leben, oh König, und dich immer segnen. Für unser Geschlecht ist es angemessen, im hohen Alter die Herrschaft den Kindern zu übergeben und Waldeinsiedler zu werden. Mit meiner Gattin werde ich schwerste Askese üben, und nur von Luft leben oder gar keine Nahrung zu mir nehmen. Als König wirst du deinen Anteil an unserer Buße erhalten, mein Sohn. Denn der König erntet stets seinen Teil von sowohl heilsamen als auch unheilsamen Taten, die in seinem Königreich ausgeübt werden.

Yudhishthira antwortete:
Wenn du, mein König, so unter Kummer leidest, erfreut mich die Herrschaft auf keinste Weise. Schande über mich, daß ich mich den Freuden eines Königs hingab, aber gräßlich unachtsam in den wirklich wichtigen Dingen war. Schande, daß ich und meine Brüder so lange nicht bemerkten, wie du leidest, fastest, abmagerst und auf der bloßen Erde liegst. Ich war ein Narr, daß du zutiefst Kluger mich so täuschen und mir Vertrauen einflößen konntest. Dabei bist du so verzweifelt! Was soll mir das Reich mit allem Luxus, Opfern und Vergnügen, wenn du, oh König, so leidest? Dann betrachte ich mein Reich wie eine Krankheit, unter der auch ich leide. Ach, was nützt es mir Bekümmertem, dir solche Worte zu sagen? Du bist uns Vater, Mutter und Lehrer. Wie sollen wir ohne dich leben? O bester König, möge Yuyutsu, der Sohn deiner Lenden, König sein. Oder jeder, den du wünschst. Ich gehe mit dir in die Wälder. Und bitte verbrenne mich nicht, wo mich schon die Niedertracht verbrennt. Ich bin kein König. Du bist der König. Von deinem Willen hänge ich ab. Wie kann ich es wagen, dir Erlaubnis zu erteilen, wo du doch mein Lehrer bist? Oh Sündenloser, ich hege keinen Groll in meinem Herzen wegen der Greuel, die uns Duryodhana angetan hat. Es war so bestimmt. Sowohl wir als auch andere waren vom Schicksal gelähmt. Wir sind deine Kinder genauso wie Duryodhana und seine Brüder. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß Gandhari ebenso meine Mutter ist wie Kunti. Wenn du mich zurückläßt und in die Wälder gehst, oh König, dann folge ich dir. Das schwöre ich bei meiner Seele. Diese Erde mit ihren Meeren und Reichtümern ist keine Quelle der Freude für mich, wenn ich ohne dich leben muß. Dies alles gehört dir. Sei mir gnädig, ich beuge mein Haupt vor dir. Wir alle hängen von dir ab, oh König der Könige. Vertreib das Fieber deines Herzens. Ich meine, daß alles vom Schicksal bestimmt über dich kam. Und ich glaubte, daß ich dich von diesem Fieber retten kann, wenn ich dir gehorsam diene und aufwarte.

Dhritarashtra gab zurück:
Oh Entzücken der Kurus, mein Geist ist fest auf Buße gerichtet, mein Sohn. Du Frommer, es ziemt sich für unsereinen, sich in die Einsamkeit des Waldes zurückzuziehen. Ich lebte viele Jahre unter deinem Schutz, und wurde von dir mit Achtung bedient, mein Sohn. Doch nun bin ich alt. Bitte gewähre mir den Abschied.

Vaisampayana fuhr fort:
Nach diesen Worten zu Yudhishthira fing Dhritarashtra an zu zittern, und mit gefalteten Händen sprach er zum hochbeseelten Sanjaya und zum großen Wagenkrieger Kripa:
Ich möchte den König mit eurer Hilfe umstimmen. Mein Geist wird trüb, und mein Mund ist trocken, denn ich bin alt und schwach, und das Sprechen strengt mich an.

Dann sank der alte Monarch plötzlich zur Seite, lehnte an Gandhari und schaute aus wie ein Toter. Und beim Anblick des Ohnmächtigen fühlte der königliche Sohn der Kunti einen stechenden Schmerz.

Yudhishthira klagte:
Weh, seine Kraft glich der von tausend Elefanten, doch heute muß sich der König an seine Frau anlehnen. Er, der einst die eiserne Statue von Bhima in Stücke brach, stützt sich heute auf eine schwache Frau. Schande über mich und meine gräßliche Ungerechtigkeit. Schande über mein Verständnis. Schande über mein Wissen der Schriften. Schande über mich, denn heute liegt ein König auf der Erde, wie es niemals ein König tun sollte. Ich werde auch wie mein Lehrer fasten. Wie er und Gandhari werde ich mich der Nahrung enthalten.

Dann massierte der pflichtgetreue Yudhishthira mit kühlem Wasser sanft Brust und Gesicht des alten Monarchen. Yudhishthira trug immer Juwelen und Kräuter an seinen Händen. Und unter der heilsamen und duftenden Berührung kamen dem alten Mann die Sinne wieder.

Dann bat Dhritarashtra:
Oh berühre mich noch einmal, mein Sohn, und nimm mich fest in deine Arme. Oh du mit den Augen wie Lotusblüten, durch deine heilsame Berührung bin ich wieder bei Bewußtsein. Ich möchte an deinem Haupt riechen, und deine Umarmung ist mir so angenehm. Es ist der achte Teil des Tages und Zeit für mich, etwas Nahrung zu mir zu nehmen. Denn weil ich noch nichts gegessen habe, bin ich so schwach und kann mich kaum rühren. Als ich meine Bitte an dich richtete, hat mich das sehr angestrengt. Die Enttäuschung ließ mich ohnmächtig werden. Oh Abkömmling des Kuru-Geschlechts, die Berührung deiner Hände ist wie lebensspendender Nektar, denn sie hat mich gestärkt.

Und schnell kam Yudhishthira der Bitte seines Onkels nach und massierte ihn sanft am ganzen Körper. König Dhritarashtra umarmte ihn und roch an seinem Haupt. Vidura und andere weinten laut vor übergroßer Rührung und Kummer und konnten kein Wort sagen, weder zum alten König noch zum Sohn des Pandu. Die pflichtbewußte Gandhari ertrug ihren Kummer mit innerer Stärke und sprach ebenfalls kein Wort, obwohl ihr Herz schwer war. Kunti und die anderen Damen wurden sehr traurig. Sie umringten den alten König und weinten bittere Tränen.

Und Dhritarashtra sprach noch einmal zu Yudhishthira:
Erlaube mir, oh König, Buße zu üben. Indem ich immer wieder davon sprechen muß, wird mein Geist schwach. Es frommt dir nicht, mein Sohn, mich dermaßen zu quälen.

Nun erhob sich auch ein lautes Wehklagen unter den anwesenden Kriegern. Yudhishthira blickte auf seinen strahlenden, königlichen Onkel, wie er mager und bleich in einer unschicklichen Lage war, geschwächt vom Fasten, beinahe nur noch Haut und Knochen – und er weinte kummervolle Tränen.

Schluchzend sprach er erneut:
Oh bester Mann, ich begehre weder Leben noch Erde. Ich möchte dir nur dienen und alles tun, was dir angenehm ist, oh Feindebezwinger. Wenn ich deine Gunst verdiene und dir lieb bin, dann iß etwas. Dann werde ich wissen, was zu tun ist.

Und Dhritarashtra antwortete ihm:
Ich werde etwas essen, mein Sohn, da du es wünschst.

Nach diesen Worten erschien Vyasa und sprach zu allen Versammelten.


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