Pushpak Mahabharata Buch 13Zurück WeiterNews

Kapitel 162 - Über den Pfad der Tugend und Gerechtigkeit

Vaisampayana sprach:
Nach diesen Worten von Krishna, dem Sohn der Devaki, fragte Yudhishthira noch einmal Bhishma, den Sohn von Shantanu:
Oh höchst Intelligenter, oh Erster aller Kenner der Lebensaufgaben, was betrachtet man als entscheidend für einen Entschluß, die sinnliche Wahrnehmung oder die Gebote der heiligen Schriften?

Und Bhishma sprach:
Ich denke, darüber sollte es keinen Zweifel geben. Höre mir zu, oh Weisheitsvoller! Ich werde dir antworten. Die Frage, die du gestellt hast, ist sicherlich berechtigt. Leicht erheben sich diesbezüglich Zweifel, und ihre Lösung ist wahrlich nicht einfach. Unzählig sind die Beispiele bezüglich der Wahrnehmung und dem Hören (der heiligen Schriften), in denen Zweifel entstehen können. Bestimmte Leute, die sich Logiker nennen, bilden sich höhere Weisheit ein und versichern, daß die sinnliche Wahrnehmung die einzige Autorität ist. Sie behaupten, daß außer dem, was sie praktisch wahrnehmen können, nichts Wahrhaftes existiert, und bezweifeln alles außerhalb ihrer Ansichten. Wahrlich, solche Behauptungen führen zur Absurdität, und wer ihnen verfällt, verliert seine gesunde Vernunft, wie gelehrt er auch sein mag. Wenn du das Eine noch bezweifelst, das die Ursache von allem ist, dann glaube mir, daß man es nur nach vielen Jahren durch beständiges und unermüdliches Yoga erkennen kann. Wahrlich, oh Bharata, wer mit dem zufrieden lebt, was ihm gegeben wird, und allseitige Hingabe übt, der kann diese hohe Erkenntnis erreichen. Kein anderer ist dazu fähig. Wer an das wahrhafte Ende aller Grübeleien gelangt, der erreicht die ausgezeichnete und allesdurchdringende Erkenntnis, dieses umfassende klare Licht, welches das ganze Universum erleuchtet. Die Erkenntnis, oh König, die aus der sinnlichen Wahrnehmung und dem Denken entsteht, kann kaum als wahre Erkenntnis gelten. Solchem Wissen sollte man vorsichtig begegnen. Man sollte erkennen, was nicht den heiligen Schriften entspricht und dem kein Vertrauen schenken.

Yudhishthira sprach:
Oh Großvater, sage mir, was verläßlich ist: die sinnliche Wahrnehmung, die gedankliche Schlußfolgerung, gutes Verhalten oder die heiligen Schriften.

Bhishma sprach:
Wenn übelgesinnte Personen mit großer Kraft versuchen, Gerechtigkeit und Tugend zu zerstören, kann diese von den Guten durch Anstrengung und Sorge beschützt werden. Solcher (oberflächlicher) Schutz kann jedoch nicht lange bewahrt werden, und schließlich geht die wahre Gerechtigkeit verloren. Dann wird sie gewöhnlich zu einer Maske, um die Ungerechtigkeit zu verstecken, wie Gras und Stroh eine tiefe Fallgrube bedecken. Höre mich, oh Yudhishthira! Auf diese Weise werden die Anstrengungen der Guten durch die Übelgesinnten zerstört. Und jene, die unheilsames Verhalten pflegen, die heiligen Schriften mißachten und Tugend und Gerechtigkeit hassen, zerstören damit die heilsamen Wege des Verhaltens. Das liegt daran, weil die sinnliche Wahrnehmung, die gedankliche Schlußfolgerung und das gute Verhalten allein stets zweifelhaft (und auf Sand gebaut) sind. Als besser betrachtet man deshalb die Rechtschaffenen mit beständiger Zufriedenheit und Vernunft, die im Einklang mit den heiligen Schriften stehen. Zu ihnen sollten alle Sorgengequälten gehen, denen es an innerer Seelenruhe fehlt. Wahrlich, oh Yudhishthira, diese solltest du verehren und bei ihnen die Lösungen deiner Zweifel suchen. Jene Weisen, die Vergnügen und Reichtum nicht mit Begierde verfolgen, und in der Tugend und Gerechtigkeit wohlerfahren sind, solltest du verehren und befragen, oh Yudhishthira. Das Verhalten solcher Personen wird aufrichtig und heilsam sein, wie auch ihre vedischen Opfer, Studien und Riten. Wahrlich, die Dreiheit von aufrichtigem Verhalten, geistiger Reinigung und vedischer Erkenntnis bilden Tugend und Gerechtigkeit (das Dharma).

Yudhishthira sprach:
Oh Großvater, mein Verstand ist immer noch von Zweifeln verwirrt. Ich bin auf dieser Seite des Ozeans und suche nach den Mitteln, um ihn zu überqueren. Doch ich kann die andere Küste des Ozeans nicht einmal sehen! Wenn diese drei, nämlich die Veden, das wahrhafte Verhalten und die geistige Reinheit zusammen als Autorität betrachtet werden sollten, dann kann man doch behaupten, daß es Unterschiede zwischen ihnen gibt. Damit wäre aber die Gerechtigkeit (das Dharma) nicht mehr einheitlich und unteilbar.

Bhishma sprach:
Man sieht oft, wie die Gerechtigkeit durch übelgesinnte Kreaturen mit großer Macht zerstört wird. Wenn du denkst, oh König, daß Gerechtigkeit wirklich drei Teile hat, dann antworte ich dir, daß deine Ansicht nur auf Gedanken beruht. Denn in Wahrheit ist Gerechtigkeit einheitlich und unteilbar, obwohl man sie aus diesen drei Perspektiven betrachten kann. Die Wege dieser drei, die das Fundament der Gerechtigkeit bilden, sind im Einzelnen erklärt worden. So handle gemäß den Geboten! Du solltest nie über Gerechtigkeit streiten. Bemühe dich, die Zweifel lösen zu lassen, in die du gefallen bist. Oh Führer der Bharatas, laß deinen Geist nicht vom Zweifel in Besitz nehmen! Folge meinem Rat ohne zu zaudern! Folge mir wie ein Blinder, der von einem Sehenden geführt wird. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Vergebung und Hingabe - übe diese vier, oh König, die keine Sünde haben, weil diese vier die ewige Tugend und Gerechtigkeit bilden. Folge, oh starkarmiger König, jenem Verhalten zu den Brahmanen, das deine Väter und Großväter bereits gepflegt haben. Dies sind die Hauptmerkmale der Gerechtigkeit. Ein Mensch mit wenig Intelligenz, der das Gewicht der Autorität zerstören würde, indem er das bestreitet, was schon Generationen akzeptiert haben, müßte schließlich selbst daran scheitern und jede Autorität unter den Menschen verlieren. Solch ein Mensch wird zur Ursache von vielerlei Kummer in der Welt. Deshalb verehre die Brahmanen und behandle sie stets mit Gastfreundschaft. Diene ihnen auf diese Weise. Denn das ganze Weltall beruht auf ihnen. Das solltest du erkennen!

Yudhishthira sprach:
Sage mir bitte, oh Großvater, welche Wege jene gehen, welche Tugend und Gerechtigkeit hassen, und jene, die sie verehren und beachten.

Bhishma sprach:
Man sagt, jene Menschen, welche Tugend und Gerechtigkeit hassen, haben ihre Herzen von den natürlichen Qualitäten der Leidenschaft und Dunkelheit überwältigen lassen. Solche Menschen gehen stetig den Weg in die Hölle. Jene Menschen dagegen, oh Monarch, welche die Gerechtigkeit beständig verehren und beachten und der Wahrheit und Ehrlichkeit gewidmet sind, werden „gut“ genannt. Sie erheben sich stetig zum Himmel und genießen dort die Freude der Glückseligkeit. Weil sie ihren Lehren voller Verehrung und Hingabe gedient haben, neigen sich ihre Herzen beständig zur Gerechtigkeit. Wahrlich, wer die Tugend und Gerechtigkeit verehrt, erreicht die Regionen der Götter. Alle Personen, seien sie Menschen oder Götter, welche Habgier und Böswilligkeit überwinden und ihre Körper durch Entsagung abzehren, gelangen auf dem Weg der Tugend zur großen Glückseligkeit. Die mit Weisheit Gesegneten sagen, daß die Brahmanen, welche die ältesten Söhne des Brahma sind, die Gerechtigkeit repräsentieren. Die Rechtschaffenen verehren sie mit ganzem Herzen und soviel Liebe und Zuneigung, wie ein Hungriger für reife und köstliche Früchte hegt.

Yudhishthira fragte:
Woran erkennt man die Übelgesinnten, und wie sollten die sogenannten „Guten“ handeln? Erkläre es mir, oh Heiliger! Wahrlich, was sind die Merkmale der Guten und der Übelgesinnten?

Und Bhishma sprach:
Die Übelgesinnten handeln unheilsam, sind unfügsam, lasterhaft und unfähig, sich innerhalb der gesetzten Regeln und Grenzen zu bewegen. Die Guten handeln dagegen heilsam. Wahrlich, ihre Taten gelten als Vorbild auf den Wegen des Verhaltens. Die Guten, oh Monarch, geben nie dem Ruf der Natur auf öffentlichen Straßen, in einem Kuhgatter oder auf einem bewirtschafteten Feld nach. Erst, nachdem sie die fünf versorgt haben (Götter, Ahnen, Geister, Gäste und Verwandte), verzehren sie ihr eigenes Essen. Sie sprechen nie beim Essen und gehen nie mit nassen Händen schlafen. Wann auch immer sie einen heiligen Ort sehen, umrunden sie ihn voller Verehrung. Dazu zählen lodernde Feuer, Stiere, Götterbilder, Kuhgatter, Straßenkreuzungen und alte und tugendhafte Brahmanen. Sie geben den Weg frei, indem sie demütig beiseite treten, für alle Älteren, Lastenträger, Damen, Amtspersonen, Brahmanen, Kühe und Könige. Die rechtschaffenen und guten Menschen beschützen ihre Gäste, Diener und andere Abhängige, ihre Verwandten und alle, die ihren Schutz suchen. Sie grüßen andere stets durch die üblichen Anfragen der Höflichkeit. Sie essen nur morgens und abends, zu den beiden Zeiten, die den Menschen von den Göttern zum Essen bestimmt wurden. Dazwischen sollte man keine Nahrung verzehren. Wer dieser Regel folgt, gilt als einer, der ein Fastengelübde beachtet. Wie das heilige Feuer auf das Trankopfer wartet, wenn die Stunde für das Homa gekommen ist, so wartet eine Ehefrau nach ihrer Periode auf die Vereinigung mit ihrem Ehemann. Wer sich seiner Gattin nur in diesen Zeiten nähert, gilt als einer, der das Brahmacharya Gelübde (der Keuschheit) beachtet. Amrit, Brahmanen und heilige Kühe - diese drei gelten als gleichwertig. Deshalb sollte man stets mit den rechten Riten die Brahmanen und Kühe verehren. Man sammelt keine Schuld an, wenn man das Fleisch von Tieren ißt, die in Opfern mithilfe der Mantras des Yajur Vedas geschlachtet wurden. Das Fleisch des Rückgrats oder von Tieren, die nicht im Opfer getötet wurden, sollte vermieden werden wie das Fleisch des eigenen Sohnes. Man sollte einen Gast nie ohne Bewirtung fortschicken, ob man nun im eigenen oder in einem fremden Land wohnt. Nach der Vollendung seiner Studienzeit sollte man seinem Lehrer das Dakshina darbringen. Und immer, wenn man seinem Lehrer begegnet, sollte man ihn voller Verehrung begrüßen und ihm einen Sitz anbieten. Wer seinen Lehrer verehrt, vergrößert seine Lebenszeit sowie seinen Ruhm und Wohlstand. Man sollte die Alten nie tadeln oder ihnen befehlen. Man sollte sich niemals setzen, solange Ältere stehen. Wer auf diese Weise handelt, bewahrt seine Lebenszeit. Man sollte seine Augen nie auf eine nackte Frau oder einen nackten Mann richten. Man sollte die eheliche Begattung nur im Privaten pflegen und auch nicht vor den Augen anderer essen.

Die Lehrer sind die Besten der Tirthas. Das Herz ist das Beste aller heiligen Dinge. Die Selbsterkenntnis ist das Beste von allem Gesuchten, und die Zufriedenheit ist das Beste von allem Glück. Jeden Morgen und Abend sollte man den Lehren der Alten zuhören. Wer den Altehrwürdigen beständig dient, erreicht Weisheit. Während man die Veden liest oder sein Essen verzehrt, sollte man seine rechte Hand verwenden. Man sollte seine Rede und seine Gedanken wie auch alle anderen Sinne unter gründlicher Kontrolle halten. Mit gutgekochtem Frumenty, Yavaka, Krisara und Havi sollte man die Ahnen und Götter im Ashtaka Sraddha verehren. Auf gleiche Weise sollte man auch die Planeten verehren. Man sollte sich nie rasieren, ohne einen Segen auf sich herabzurufen. Und wenn jemand niest, sollte man ihm Gesundheit wünschen. So sollte man auch jeden Kranken segnen und um ein langes Leben für ihn beten. Man sollte unter keinen Umständen eine bedeutende Person vertraut (mit „Du“) anreden. Eine solche Person so unwürdig anzureden, kommt einem Mord gleich, denn gelehrte Leute fühlen sich dadurch entwürdigt. Nur zu Untergeordneten, Gleichrangigen oder Schülern ist eine solche Anrede sittlich.

Das Herz eines sündhaften Menschen verkündet stets die Sünden, die er begangen hat. Jene Menschen, die Sünden absichtlich begehen, treffen sicher auf ihren Untergang, auch wenn sie sich bemühen, sie vor den Guten zu verbergen. Denn wahrlich, alle uneinsichtigen Sünder verbergen ihre Sünden vor anderen. Sie denken, daß ihre Sünden weder von Menschen noch Göttern gesehen werden. Doch jeder sündhafte Mensch wird mit der Zeit von seinen Sünden überwältigt und nimmt entsprechend Geburt unter leidvollen Bedingungen. Die unbereinigten Sünden solcher Menschen wachsen Tag für Tag beständig, wie die Zinsen der Wucherer. Wer eine Sünde begangen hat, sollte sich bemühen, sie durch Tugend zu bereinigen. Dadurch wird diese Sünde gesühnt und führt zu Tugend und Gerechtigkeit, anstatt zu immer neuen Sünden. Wie sich Salz im Wasser auflöst, so löst sich die Sünde durch Sühne auf. Aus diesen Gründen sollte man eine Sünde nie verbergen. Denn im Verborgenen wird sie sicherlich anwachsen. Wer eine Sünde begangen hat, sollte sie in Gegenwart von Rechtschaffenen bekennen. Denn die Beichte ist der erste Weg zur Besserung. Mit der Sünde ist es wie mit Reichtum, den man voller Hoffnung ansammelt, aber nicht auf rechte Weise benutzt (und verbraucht). Sie wird immer weiter vererbt und findet auch nach dem Tod ihren Eigentümer.

Die Weisen sagen, daß die Gesinnung eines Wesens der wahre Test für Tugend und Gerechtigkeit ist. Deshalb haben alle Wesen in der Welt eine angeborene Neigung, nach Gerechtigkeit zu suchen. Doch Gerechtigkeit sollte man vor allem in sich selbst verwirklichen. Wahrlich, man sollte mit seiner Tugend und Gerechtigkeit niemals prahlen und mit der Standarte der Gerechtigkeit durch die Welt ziehen, um sie zur Schau zu stellen. Und jene Menschen, die sie nur üben, um die Früchte zu genießen, gelten als Verkäufer der Gerechtigkeit. So sollte man auch die Götter und Lehrer verehren, ohne jegliche Gefühle des Stolzes zu hegen, womit man sich nur selbst belügt. So sollte man wahrlich alles tun, um die Seele für die kommende Welt zu retten, und jenen unschätzbaren Reichtum ansammeln, den man durch selbstlose Geschenke an würdige Personen erreicht.


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