Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 308 - Vasishta über Erkenntnis und Unwissenheit

Vasishta sprach:
Damit habe ich dir die Sankhya Theorie soweit erklärt. Höre jetzt von mir nacheinander, was Erkenntnis (Vidya) und Unwissenheit (Avidya) ist. Die Gelehrten sagen, daß die Natur, die von den Eigenschaften der Schöpfung und Zerstörung erfüllt ist, Unwissenheit genannt wird, während das Selbst, das von allen Eigenschaften frei und jenseits aller Prinzipien ist, Erkenntnis genannt wird. So möchte ich dir zuerst aufzählen, was Erkenntnis unter den entstandenen Erscheinungen ist, wie es die Sankhya Lehre erklärt. Unter den körperlichen Organen sind die Sinnesobjekte die Erkenntnis. Unter den Sinnes- und Handlungsorganen sind die Sinne die Erkenntnis. Unter den Sinnen ist das Denken die Erkenntnis. Im Denken sind die fünf feinstofflichen Elemente die Erkenntnis. In den fünf subtilen Elementen ist das Bewußtsein die Erkenntnis. Im Bewußtsein ist das Mahat (die universelle Intelligenz) die Erkenntnis. Unter allen Eigenschaften oder Prinzipien der Natur, angefangen mit dem Mahat, ist die unentfaltete und höchste Natur (Prakriti) die Erkenntnis, oh König. In dieser unentfalteten Natur ist der höchste Herr die Erkenntnis. Und jenseits aller Natur ist es das Selbst, das als Erkenntnis erkannt werden sollte. Bei jeder Erkenntnis gilt das Erkannte als Natur, oh König. So bezeichnet man die Erkenntnisse als Natur und das Erkennende als jenseits der Natur. Noch einmal: Das Erkannte gilt als Natur, und das Erkennende ist das, was jenseits der vierundzwanzig Prinzipien der Natur ist. Damit habe ich dir wahrhaft die Bedeutung von Erkenntnis und Unwissenheit erklärt.

Höre nun, wie ich dir alles berichte, was über das Unvergängliche und Vergängliche gesagt wurde. Sowohl die verkörperte Seele als auch die Natur gelten als vergänglich, aber auch als unvergänglich. Ich will dir den Grund dafür nennen, wie ich ihn verstanden habe. Sowohl die Natur als auch die verkörperte Seele sind in ihrem Wesen ohne Anfang und Ende. Beide werden als grundsätzlich für die Schöpfung betrachtet, und die Gelehrten sagen, daß beide als Prinzipien oder Grundsätze gelten sollten. Aufgrund ihrer Eigenschaft der ewigzyklischen Schöpfung und Auflösung gilt die Natur als unvergänglich. Diese Natur wird immer wieder umgestaltet, um die Prinzipien erscheinen zu lassen. Und sofern diese Prinzipien, beginnend mit dem Mahat (der universalen Intelligenz) aus dem Selbst entstehen und damit eine Beziehung zwischen ihnen existiert (als verkörperte Seele), sofern kann man auch dieses Selbst als Natur (Feld) bezeichnen. Doch wenn der Yogi alle Prinzipien in das Selbst (oder Brahman) zurückzieht und vereint, dann verschwindet auch dieses Selbst, das fünfundzwanzigste, zusammen mit allen anderen vierundzwanzig Prinzipien. Wenn alle Prinzipien verschmolzen sind, nämlich jedes in seinen Vorgänger, dann bleibt nur das Eine, das Unentfaltete. Wenn so die verkörperte Seele, oh Sohn, in ihrer Ursache verschmolzen ist, dann verschwindet ihre Natur mit allen erkennbaren Prinzipien, und sie erreicht das Eigenschaftslose, das Ungestaltete. So wird auch der Feldkenner, wenn seine Erkenntnis des Feldes verschwindet, zum Eigenschaftslosen, zum Ungestalteten. So haben wir es vernommen. Solange man jedoch von Umwandlung spricht, solange gibt es Eigenschaften. Wer allerdings das wahre Wesen erkennt, der erkennt sich Selbst ohne alle Eigenschaften. Das nennt man die Überwindung der Natur und die Selbsterkenntnis, wenn sich der Feldkenner selbst als rein und wandellos erkennt.

Wenn die verkörperte Seele aufhört, sich mit den Eigenschaften der Natur zu identifizieren, dann erreicht sie das Brahman. Solange sie jedoch an die Natur gebunden ist, fühlt sie sich als etwas Getrenntes, etwas Eigenes, oh König. Wahrlich, wenn diese verkörperte Seele aufhört, nach der Natur mit ihren Prinzipien zu greifen, kann sie das Höchste erkennen. Und wurde dies einmal wahrhaft erkannt, gibt es keinen Grund mehr, aus dieser Seligkeit zu sinken. Wenn die Erkenntnis der Wahrheit in ihr dämmert, beginnt sie zu klagen:
Ach, wie dumm habe ich in diesem Körper aus den Prinzipien der Natur gehandelt, als ich in Unwissenheit gefangen war wie ein Fisch im Netz! Ach, durch diese Unwissenheit bin ich von Körper zu Körper gewandert, wie ein Fisch von Gewässer zu Gewässer schwimmt und denkt, daß er nur im Wasser leben kann. Wahrlich, wie ein Fisch, der nichts anderes als das Wasser als sein Element kennt, so war auch ich meiner Familie, den Kindern und Ehefrauen verhaftet. Schande über mich, daß ich aus Unwissenheit von Körper zu Körper gewandert bin und die Höchste Seele vergessen hatte! Diese Höchste Seele allein ist mein wahrer Verwandter, und die Verwandtschaft mit ihr ist ewig. Was auch immer mein Wesen ist, wer auch immer ich sein möge, ich kann Er sein, denn Er ist niemand anderes als mein ich. Wahrlich, ich bin Er, und Er ist ich. Er ist das Reine, und unsere Einheit ist offensichtlich. Durch Unwissenheit und Verwirrung habe ich mich mit lebloser Natur verbunden. Obwohl in Wahrheit vollkommen frei, habe ich diese lange Zeit in Anhaftung an die Natur verbracht. Ach, durch sie war ich so lange gebunden, ohne es zu erkennen. Vielgestaltig sind die Formen der Natur, hoch, mittelmäßig und niedrig. Ach, wie konnte ich in diesen Formen wohnen? Wie konnte ich in ihnen leben? Allein durch meine Unwissenheit habe ich mich mit ihnen verbunden. Doch nun möge Freiheit sein und keine Bindung mehr an diese Formen! Wenn ich so lange Zeit in ihnen verbracht habe, könnte ich annehmen, daß ich so lange von der Natur getäuscht wurde. Doch wenn mein Selbst in Wahrheit von allen Wandlungen frei ist, wie konnte ich mit dieser Natur verbunden werden, die der Umwandlung unterworfen ist? Man kann sie wohl nicht dafür verantwortlich machen. Die Verantwortung für die Abkehr und Trennung von der Höchsten Seele liegt in diesem Ich, das ihr anhaftet. Infolge dieser Anhaftung wohnte ich selbst, obwohl eigentlich formlos, in vielgestaltigen Formen. Wahrlich, obwohl formlos, habe ich aufgrund meiner Ichhaftigkeit Formen angenommen, wodurch ich leiden mußte und verblendet wurde. Infolge dieser Ichhaftigkeit bezüglich der Eigenschaften der Natur, wurde ich gezwungen, in den verschiedenen Arten der Geschöpfe Geburt anzunehmen. Ach, obwohl ich in Wahrheit vollkommen frei von einem getrennten Ich bin, war ich doch damit verbunden. Ach, welche sündhaften Taten habe ich in diesen Geschöpfen begangen, in denen ich Geburt nahm und mit einer Seele voller Unwissenheit wohnte! Ich habe nun nichts mehr zu tun mit diesem Ichbewußtsein, das sich in unzählige Bruchstücke zerteilt, um sich dann um eine Verbindung mit den „anderen“ zu bemühen. Jetzt wurde ich erweckt und habe erkannt, daß ich in Wahrheit ohne diesen Sinn der Ichhaftigkeit bin und ohne dieses Bewußtsein, das die Formen der Natur erschafft und mich völlig eingehüllt hatte. Diesen Egoismus überwunden, den ich stets bezüglich der Natur hatte, und der aus dem Wesen des Bewußtseins zusammengesetzt war, und damit die Natur selbst überwunden, werde ich in Ihm Zuflucht nehmen, der jenseits davon ist. So bin ich mit Ihm vereint und hafte nicht mehr an dieser leblosen Natur an. Dies wird mir zum Höchsten Heil gereichen. Dies ist die Befreiung von den Eigenschaften der Natur!

Vasishta fuhr fort:
Wenn die verkörperte Seele auf diesem Weg das Höchste erkennt, kann sie alles Vergängliche ablegen und damit das Unvergängliche sein, was die Essenz aller Vollkommenheit ist. In Wahrheit ist sie ohne alle Eigenschaften und formlos, und doch identifiziert sich die verkörperte Seele mit den Gestaltungen und nimmt Eigenschaften an. Wer das erkennen kann, was ohne Eigenschaften ist, und wie die Eigenschaften als Natur erscheinen, der erreicht das Höchste, oh Herrscher von Mithila. Damit habe ich dir das Wesen des Unvergänglichen und des Vergänglichen erklärt, nach bestem Wissen und wie es in den heiligen Schriften steht. Nun vernimm auch, was ich gehört habe, wie sich diese subtile, reine und wahrhafte Erkenntnis erhebt. Höre mir achtsam zu! Was die Sankhya und Yoga Lehren aufzeigen, habe ich dir bereits erklärt. Wahrlich, bezüglich der höchsten Erkenntnis sind Sankhya und Yoga vollkommen gleich. Auch die Erkenntniswege des Sankhya, oh Monarch, können einen Menschen erwecken, denn diese Lehre ist klar und heilsam für die Schüler. Die Gelehrten sagen, daß diese Sankhya Lehre höchst umfassend ist. Auch die Yogis achten diese Lehre, da sie auf den Veden beruht. Die Sankhyas erforschen die vierundzwanzig Prinzipien und erkennen, daß es jenseits des fünfundzwanzigsten nichts Höheres gibt. Das wurde ausführlich erklärt. Im Yoga sagt man, daß das Brahman, welches die höchste Erkenntnis ohne jegliche Gegensätze ist, allein durch die Hülle der Unwissenheit zur verkörperten Seele wird. Damit erklärt man im Yoga das Brahman und die verkörperte Seele.


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