Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 289 - Über die Tugenden zur Befreiung

Yudhishthira sprach:
Wie, oh Großvater, sollte sich in dieser Welt ein König wie ich verhalten, der das Heil sucht? Welche Eigenschaften sollte er beständig pflegen, so daß er von allen Anhaftungen und Fesseln frei werden kann?

Bhishma sprach:
Zu diesem Thema werde ich dir die alte Geschichte erzählen, was einst Arishtanemi zu König Sagara sprach, als dieser dessen Rat gesucht hatte.

Sagara fragte:
Was ist das Heilsame, oh Brahmane, wodurch man hier Glückseligkeit erreichen kann? Und wie lassen sich Sorgen und Verwirrungen vermeiden? Das möchte ich gern erfahren.

So angesprochen von Sagara, antwortete Arishtanemi aus dem Stamme von Tarkshya, der in allen Schriften höchst erfahren war, nachdem er erkannte, daß der Fragende in jeder Weise seine Belehrung verdiente:
Die wahre Glückseligkeit in der Welt ist die Glückseligkeit der Befreiung. Die Unwissenden erkennen dies nicht, weil sie an ihren Kindern und ihrem Vieh anhaften sowie Reichtümer und Getreidevorräte besitzen wollen. Ein Verstand, der an weltlichen Dingen haftet, und ein Geist voller Begierde - diese beiden vereiteln jedes Heil. Der unwissende Mensch, der durch die Ketten der Anhaftung gebunden ist, kann keine Befreiung erreichen. So werde ich dir jetzt all diese Fesseln nennen, die aus Anhaftung entstehen. Höre mir achtsam zu! Wahrlich, wenn ein Vernünftiger davon hört, wird er großen Nutzen daraus ziehen.

Nachdem du Kinder gezeugt und diese im rechten Alter verheiratet hast, und wenn du siehst, daß sie nun fähig sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, dann befreie dich von allen Verpflichtungen und wandere selig durch die Welt. Wenn du siehst, daß deine wohlgehegte Ehefrau in die Jahre gekommen ist und an ihren Kindern hängt, welche sie zur Welt gebracht hat, dann entsage auch ihr, wenn die Zeit gekommen ist, um das Höchste zu erreichen. Ob du nun einen Sohn hast oder nicht, nachdem du in den vergangenen Jahren deines Lebens auf rechte Weise die Sinnesfreuden erfahren hast, löse dich nun von allen Anhaftungen und wandle selig durch die Welt. Nach dem Schwelgen der Sinne in ihren Objekten mögest du nun in Zukunft jedes weitere Begehren nach Sinnesbefriedigung überwinden. Befreie dich von allen Anhaftungen und wandle selig durch die Welt. Sei mit dem zufrieden, was dir ohne besondere Absicht und Anstrengung gegeben wird, und betrachte alle Geschöpfe mit gleichem Auge. So, oh Sohn, habe ich dir kurzgefaßt den Weg skizziert.

Höre mich jetzt, wie ich ausführlich den hohen Weg der Befreiung beschreibe. Wer in dieser Welt von Anhaftungen und Angst befreit ist, kann die Glückseligkeit erreichen. Wer jedoch an weltlichen Dingen haftet, wird zweifellos auf seinen Untergang treffen, wie die Würmer und Ameisen, die ständig nach Nahrung suchen und ungesättigt sterben müssen. Die von Anhaftung Befreiten sind selig, während die nach weltlichen Dingen Begehrenden auf ihren Tod treffen. Wenn du wahre Befreiung suchst, solltest du deine Gedanken nicht an deine Familie hängen und denken: „Wie sollen sie ohne mich leben?“ Ein Lebewesen wird allein geboren, gedeiht allein, erfährt allein Glück und Leid und stirbt allein. Allein erhält und genießt man in dieser Welt Nahrung, Kleidung und andere Anschaffungen, die man von seinen Eltern empfängt oder sich selbst verdient. Dies geschieht als Ergebnis der eigenen Taten aus vergangenen Leben, denn nichts gewinnt man in dieser Welt, was nicht durch das angesammelte Karma bedingt wäre. Alle Wesen leben auf der Erde durch ihre eigenen Taten beschützt und erlangen ihren Lebensunterhalt entsprechend dem Schicksal, das Er bestimmt, der die Früchte den Taten zuordnet. Ein Mensch ist nur ein Klumpen Erde und stets von anderen Kräften völlig abhängig. Wenn dem so ist, warum sollte man seine Macht überschätzen und sich als unabdingbar denken für den Schutz und die Ernährung seiner Familie? Wenn deine Verwandten vor deinen Augen vom Tod davongetragen werden, hast du die Macht sie zu retten? Bedenke es gut und erwache aus deinem Traum! Und wenn deine Verwandten auch leben, kannst du es verhindern, daß dich selbst der Tod holt und du sie aufgeben mußt, noch bevor du deine Aufgabe ihres Schutzes und ihrer Ernährung beenden konntest? Und nachdem deine Verwandten durch den Tod aus dieser Welt getragen wurden, welche Macht hast du darüber, ob sie dann Glück oder Leid erfahren müssen? Bedenke es gut und erwache aus deinem Traum! Wenn deine Verwandten aufgrund der Früchte ihrer eigenen Taten ihren Lebensunterhalt in dieser Welt gewinnen, unabhängig davon, ob du lebst oder stirbst, so erwache und handle zu deinem Heil! Wenn du erkannt hast, wer in dieser Welt wem angehört, dann richte deinen Geist auf die Befreiung!

Höre mich, wie ich noch ausführlicher dazu spreche. Ein Mensch mit beständiger Seele ist wahrlich befreit, wenn er Hunger, Durst und andere Zustände des Körpers sowie Zorn, Begierde und Unwissenheit überwunden hat. Ein Mann ist frei, der sich in seiner Verblendung nicht selbst vergißt und dem Spiel, der Trinkerei, den Weibern und der Jagd verfällt. Wer allein von den Sorgen berührt wird, die aufgrund der Notwendigkeit der täglichen Ernährung zur reinen Lebenserhaltung entstehen, der gilt als einer, der die Mangelhaftigkeit des Lebens erkannt hat. Wer nach sorgfältigem Nachdenken die Ursache seiner wiederholten Geburten in der Begierde zwischen Mann und Frau erkennt, der kann sich von Anhaftung befreien. Wer das Wesen von Geburt, Untergang und Anstrengung (oder Taten) der Lebewesen wahrhaft erkennt, der kann als Befreiter gelten. Wem eine Handvoll Getreide zur Lebenserhaltung genauso wertvoll ist wie tausend Wagenladungen und eine Hütte aus Bambusrohr wie ein Palast, der kann als Befreiter gelten. Wer tiefgründig durchschaut, wie diese Welt unter Tod, Krankheit und Hunger leidet, der kann als Befreiter gelten. Wahrlich, wer die Welt so durchschauen kann, der wird zufrieden sein, während andere in ihrer Unwissenheit auf ihren Untergang treffen. Denn wer unabhängig von allen Bedingungen wahrlich zufrieden ist, der kann als Befreiter gelten. Wer erkennt, daß diese Welt nur aus Essern und Essen (Agni und Soma) besteht und sich selbst nicht in Glück und Leid verstrickt, welche aus der Illusion geboren werden, der kann als Befreiter gelten. Wer ein weiches Bett auf einem kostbarem Bettgestell und den harten Boden als gleich betrachtet und mit jeder Nahrung zufrieden ist, der kann als Befreiter gelten. Wem feines Leinen oder Bastgeflecht, ein Kleid aus Seide oder Borke einerlei sind, wer keinen Unterschied zwischen weichem Schaffell und grobem Leder macht, der kann als Befreiter gelten. Wer diese Welt als reine Gestaltung der fünf ursprünglichen Elemente betrachtet und sich entsprechend gleichmütig verhält, der kann als Befreiter gelten. Wer Vergnügen und Schmerz sowie Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage, Angenehm und Unangenehm als Einerlei betrachtet und keine Angst mehr kennt, der kann als Befreiter gelten. Wer diesen unvollkommenen Körper als eine Ansammlung aus Blut, Urin und Exkrementen sowie als einen Ort des Leidens und der Krankheiten sieht, der kann als Befreiter gelten. Wer die Vergänglichkeit dieses Körpers tiefgründig erkennt, wie er vom Alter eingeholt wird und sich Runzeln, graue Haare, Schwäche, Blässe und gebückter Gang einstellen, der kann befreit werden. Wer sich stets erinnert, daß dieser Körper dem Verlust von Jugend und Sehkraft sowie der Taubheit und Schwäche unterliegt, der kann befreit werden. Wer erkennt, daß sogar die großen Rishis, Götter und Dämonen aus ihren hohen Bereichen fallen müssen, der kann befreit werden. Wer erkennt, daß bereits tausende Könige mit größter Macht und Kraft von dieser Erde gehen mußten, der kann befreit werden. Wer erkennt, daß diese Welt voller Leiden und der Erwerb der Dinge stets mühevoll ist, wer die vielfältigen Sorgen in den Familien sieht, der kann befreit werden. Wer würde nicht die Befreiung verehren, wenn man die Unvollkommenheit von Kindern und anderen Menschen betrachtet? Wer durch die heiligen Schriften und die Erfahrung in der Welt erwacht und jedes Geschöpf als leer und ohne wahre Substanz erkennt, der kann Befreiung erreichen. Ob nun Hausvater, König oder Bettelmönch, trage diese Worte von mir in deinem Geist, erreiche wahrhafte Erkenntnis und wandere als Befreiter durch die Welt.

Als König Sagara diese Worte voller Achtsamkeit hörte, erwarb dieser Herr der Erde jene Tugenden, die zur Befreiung führen und fuhr fort, mit ihrer Hilfe seine Untertanen zu regieren.


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