Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 236 - Über den Yoga Weg zur Befreiung

Vyasa sprach:
Wer Befreiung wünscht, sollte Erkenntnis suchen. Für eine Person, die heute hier und morgen dort im Strom der Zeit und des Lebens geboren wird, ist Erkenntnis das Rettungsfloß, womit man das sichere Ufer erreichen kann. Der Weise, der (bezüglich des Wesens der Seele und dem, was man Leben nennt) Einsicht gewonnen hat, wird auch fähig sein, den Unwissenden beim Überqueren des Stroms der Zeit mit dem Floß der Erkenntnis zu helfen. Ohne diese tiefgründige Sicht kann man weder sich selbst noch andere retten. Wer sich vom Begehren und allen anderen Sünden befreien und alle Anhaftungen überwinden möchte, sollte sich um die zwölf Voraussetzungen für den Yoga kümmern, nämlich ein reiner Ort, tugendhaftes Handeln, gutmütige Motivation, geheiligte Objekte, rechte Mittel, rechte Anstrengung, beständiges Vertrauen, gezügelte Sinne, genügende Ernährung, heilsame Entsagung, gezügeltes Denken und Meditation. Wer wahrhafte Erkenntnis sucht, sollte mithilfe der Vernunft seine Rede und seine Gedanken zügeln. Und wer zeitlose Stille (bzw. Erlösung) sucht, sollte mithilfe der Erkenntnis seine Seele zügeln. Ob er nun mitleidsvoll oder grausam erscheint, in den Veden gelehrt oder unwissend, gerecht oder ungerecht, sündhaft oder rein, wohlhabend oder arm - wer seinen Geist auf diesen Weg führt, wird zweifellos den Ozean des Lebens durchqueren, der so schwer zu durchqueren ist. Ohne nach den Früchten der Selbsterkenntnis auf dem Yoga Weg zu verlangen, geht der Yogi, der allein die Erkenntnis der Höchsten Seele sucht, über alle Worte und Ansichten hinaus.

Der Mensch mit seinem Körper ist für diesen Weg ein ausgezeichneter Wagen. Opfer und religiöse Riten dienen als Sitz auf diesem Wagen, das Gewissen bildet die Schutzbretter ringsherum, die rechten Mittel und die rechte Anstrengung sind die Deichsel, der Lebensatem ist die Radachse, die Entsagung ist das Joch, das Bewußtsein und die Lebenszeit sind die Geschirre der Rosse, die Achtsamkeit ist das stabile Bodenbrett, das heilsame Verhalten sind die Räder, das Sehen, Berühren, Riechen und Hören sind die vier Rosse, die Weisheit bildet die Radnaben, die heiligen Gebote sind die Peitsche, die Erkenntnis ist der Wagenlenker, die Seele ist der Insasse des Wagens, Entsagung und Selbstkontrolle sind die Zügel, und Wahrhaftigkeit und Meditation sind der Weg. So kann dieser Wagen das Brahman erreichen und dort im vollen Glanz erstrahlen.

Ich werde dir nun kurzgefaßt die Mittel nennen, die man anwenden sollte, nachdem dieser Wagen angespannt und ausgestattet ist, um die Wildnis dieser Welt zu durchqueren und das Höchste zu erreichen, das Brahman, das jenseits von Alter und Tod ist. Sich auf ein einziges Objekt zu konzentrieren, wird Dharana (Konzentration oder Vertiefung) genannt. Der Yogi, der den rechten Weg der Gelübde und Entsagung geht, übt alle sieben Arten dieser Vertiefung (bezüglich Erde, Wasser, Feuer, Wind, Raum, Ichbewußtsein und Vernunft), woraus noch viele andere Arten der Vertiefung entstehen. Damit überwindet der Yogi schrittweise die Erde, das Wasser, das Feuer, den Wind, den Raum, das Ichbewußtsein und die Vernunft, um schließlich das Ungestaltete (Brahman) zu erkennen. Ich werde dir nun der Reihe nach die Einsichten beschreiben, welche der Yogi, der sich auf diesem Weg übt, verwirklichen kann, sowie die wesentlichen Wirkungen des Yogas für den, der sein Innerstes Selbst erkennt. Der Yogi, der seinem grobstofflichen Körper entsagt und den Belehrungen seines Lehrers folgt, kann seine Seele aufgrund ihrer Feinheit in folgenden Formen erkennen. In der ersten Stufe erscheint ihm die Seele, wenn sich das Erdelement (das Körperliche) auflöst, wie ein nebliger Dampf, der die Luft erfüllt. Wenn sich dieser Nebel klärt, erscheint eine zweite Form, und der Yogi schaut in seinem Inneren die Form des Wassers im Raum. Wenn sich dieses Wasser auflöst, zeigt sich die Form des Feuers. Wenn sich auch dieses auflöst, erscheint die Form des Windes, wie eine glänzende, wohlgehärtete Waffe. Allmählich verliert sich diese Form des Windes (im Raum), und hauchdünne Spinnfäden erscheinen (Ichbewußtsein?). Dann (wenn sich auch dieses Gespinst auflöst) gewinnt der Yogi die Reinheit als Essenz des Raumes und man sagt, die Seele des Brahmanen hat das klare Licht der Erkenntnis im subtilen Raum gewonnen (reines Bewußtsein).

Höre mich nun, wie ich auch von den subtilen Wirkungen spreche, die damit erscheinen. Der Yogi, der das Erdelement überwinden konnte, erreicht durch solche Meisterschaft die Macht der Schöpfung. Wie ein zweiter Prajapati, der in seinem Wesen vollkommen unerschütterlich ist, kann er aus seinem Körper alle Arten von Geschöpfen erschaffen. Wer die Meisterschaft über das Windelement erreicht hat, kann mit nur einer Zehe, einer Hand oder einem Fuß die ganze Erde erschüttern. Das ist die Macht des Windes, wie die Schriften erklären. Der Yogi, der die Meisterschaft des Raumes erreicht hat, kann, weil er mit diesem Element eins geworden ist, den ganzen Raum durchdringen und sich nach Wunsch darin bewegen. Mit der Meisterschaft über das Wasser kann man (wie Agastya) ganze Flüsse, Seen und Ozeane leeren. Durch die Meisterschaft über das Feuer wird der Yogi strahlend und kann nach Wunsch erscheinen und verschwinden. Wer die Meisterschaft über das Ichbewußtsein gewonnen hat, der überwindet alle fünf Elemente (und damit seine Körperlichkeit). Der Yogi, der die Meisterschaft über die höhere Vernunft erreicht, welche das Wesen der fünf Elemente und des Ichbewußtseins ist, wird von Hellsicht und vollkommener Erkenntnis jenseits aller Zweifel erfüllt. Damit verschmilzt das Entfaltete mit dem Unentfalteten zur Höchsten Seele, aus der diese ganze Welt strömt und alle Geschöpfe erscheinen.

Höre mich nun, wie ich ausführlicher vom Unentfalteten spreche. Dazu beschreibe ich dir zuerst, was als das Entfaltete in der Sankhya Lehre erklärt wird. Sowohl im Yoga als auch im Sankhya spricht man diesbezüglich von fünfundzwanzig Merkmalen. Höre, wie ich die Wichtigsten nenne. Die vier Hauptmerkmale des Entfalteten sind Geburt, Wachstum, Alter und Tod (bzw. Anfang, Werden, Vergehen und Ende). Was diese Merkmale nicht hat, gilt als das Unentfaltete. Diesbezüglich werden in den Veden und Upanishaden zwei Arten der Seele erwähnt. Die eine ist mit den genannten Merkmalen begabt und verlangt nach den vier Zielen (Dharma, Artha, Kama und Moksha - Gerechtigkeit, Reichtum, Liebe und Erlösung). Sie wird entfaltet genannt und ist aus der anderen Art, der unentfalteten (Höchsten Seele) geboren. Die eine erkennt durch den Filter der natürlichen Qualitäten (von Sattwa, Rajas und Tamas), und die andere ist reine Erkenntnis, auch Kshetrajna oder Feldkenner genannt. Beide Arten der Seele, so sagen die Veden, sind in ihrem Wesen reine Erkenntnisfähigkeit bezüglich der Erkenntnisobjekte. (Siehe z.B. Mundaka Upanishad 3.1: „Zwei Vögel, verbundene Freunde, sitzen im gleichen Baum. Der eine nascht von der süßen Frucht und der andere schaut gelassen zu.“)

Die Lehre des Sankhya ist diesbezüglich, daß man die Anhaftung an diese Sinnesobjekte überwinden sollte. Der Yogi, der von Anhaftung und Ichhaftigkeit befreit ist, der alle Gegensätze, wie Freude und Leid, Hitze und Kälte usw. aufgelöst hat, der nie von Zorn oder Haß überwältigt wird, der keine Lüge spricht und wahrhaftig lebt, der mit jedem Wesen Mitgefühl hat, selbst mit einem Verleumder oder Verletzer, der keinem Wesen schadet, der die Dreiheit von Körper, Rede und Geist zügelt und sich zu allen Wesen gleich verhält, der wird sich dem Brahman nähern können. Wer kein Begehren nach weltlichen Dingen hegt, wer mit allem zufrieden ist, was ihm begegnet, wer die irdischen Dinge enthaltsam nutzt, allein um das Leben zu erhalten, wer von aller Habgier frei ist, allen Kummer zerstreut hat, seine Sinne zügelt und alle notwendigen Taten vollbringt, wer nicht an persönlicher Erscheinung wie Kleidung usw. hängt, wer seine Sinne gesammelt hat (zur Konzentration und Vertiefung), wer entschlossen handelt, wer zu allen Wesen freundlich ist, wer einen Klumpen Erde und einen Klumpen Gold als gleichwertig betrachtet, wer Freund und Feind wie Lob und Tadel gelassen sieht, wer mit Geduld gesegnet ist, das Verlangen nach Sinnesdingen überwunden hat, Entsagung und Brahmacharya übt, in all seinen Gelübden beständig ist und weder Böswilligkeit noch Neid zu allen Wesen der Welt kennt, der ist ein Yogi, der gemäß den Lehren des Sankhya Befreiung erreichen wird. Doch höre auch über das größte Hindernis auf dem Yoga Weg. Es sind die besonderen Kräfte, welche durch den Yoga wachsen. Nur wer auch diese überwindet, kann Befreiung erreichen. Damit habe ich dir das rechte Verhalten auf dem Weg zur Erkenntnis erklärt. So kann man alles Gegensätzliche überwinden und das Brahman finden.


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