Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 232 - Über die Schöpfung und den Lauf der Welt

Vyasa fuhr fort:
Brahma ist der selbstexistierende und alles durchstrahlende Samen, aus dem dieses ganze Universum entstanden ist, das aus belebten und unbelebten Geschöpfen besteht. In der Morgendämmerung seines Tages erwachte er und erschuf mithilfe von Unwissenheit dieses Weltall. Zuerst entstand das, was man Mahat (universelle Intelligenz) nennt. Das Mahat wandelte sich in Bewußtsein (bzw. das Geistige), welches die Grundlage für das Körperliche ist. So bringt die alldurchdringende Seele von Unwissenheit umhüllt sieben große Wesen hervor (Mahat, Bewußtsein und die fünf Elemente). Im Streben nach Entstehung beginnt das Bewußtsein, das viele Wege kennt und (entsprechend den drei natürlichen Qualitäten) von Leidenschaft und Unwissenheit geprägt ist, die verschiedenen Arten der Wesen durch Umwandlung seiner selbst zu erschaffen. Als erstes entsteht aus dem Bewußtsein der Raum, dessen Eigenschaft der Klang ist. Aus dem Raum entsteht durch Wandlung der Träger aller Düfte, nämlich der reine und mächtige Wind. Man sagt, er besitzt die Eigenschaft der Fühlbarkeit. Aus dem Wind entsteht durch Wandlung das leuchtende Feuer. Voller Schönheit besitzt es die Eigenschaft der Sichtbarkeit. Aus dem Feuer entsteht durch Wandlung das Wasser, das den Geschmack als Eigenschaft hat. Aus dem Wasser entsteht schließlich das Erdelement, welches den Geruch als Eigenschaft hat. Diese Elemente gelten als die anfängliche Schöpfung. Dabei erbt jedes dieser Elemente die Eigenschaften des vorhergehenden, aus dem es entstanden ist. So hat schließlich die Erde die Eigenschaften aller Elemente, nämlich Klang, Fühlbarkeit, Sichtbarkeit, Geschmack und Geruch. Und wenn jemand einen Geruch im Wasser wahrnimmt und aus Unwissenheit behauptet, daß er dem Wasser angehöre, so würde er sich täuschen, denn der Geruch ist eine Eigenschaft des Erdelements, das natürlich in einem Zustand der Anhaftung auch im Wasser und im Wind bestehen kann.

So entstanden zu Beginn diese sieben Arten der Wesen mit ihren verschiedenen Eigenschaften. Doch sie könnten keine Geschöpfe hervorbringen, wenn sie nicht alle gemeinsam als Einheit wirken würden. Nur wenn all diese Wesen zusammenkommen und sich verbinden, bilden sie die Grundlage der Körperlichkeit. Wenn die Teile in der rechten Weise verbunden sind, entsteht das, was man die grobstofflichen Körper der Lebewesen nennt mit ihren äußeren Formen und den sechzehn Komponenten (fünf Elemente, fünf Sinnesorgane, fünf Handlungsorgane und das Denken). Im grobstofflichen Körper entfaltet sich dann das feinstoffliche Mahat mit den unerschöpften Rückständen angesammelter Taten (dem Karma). So hat sich der ursprüngliche Schöpfer aller Wesen durch seine Maya (Illusionskraft) selbst geteilt und ist in diese Körper eingegangen, um alles Erkennbare zu erkennen. Deshalb wird er auch der Große Vater aller Wesen (Prajapati) genannt. Er ist es, der alle beweglichen und unbeweglichen (bzw. belebten und unbelebten) Geschöpfe hervorbringt. Indem Er diese Form des Brahma angenommen hat, schuf Er die Welten der Götter, der Rishis, der Ahnen und der Menschen sowie die Flüsse, die Seen und Ozeane, die Himmelsrichtungen, die Länder und Provinzen, die Hügel und Berge, die großen Bäume, die Menschen, Kinnaras, Rakshasas, Vögel, Schlangen und alle anderen wilden oder häuslichen Tiere. Wahrlich, so erschuf Er alles Belebte und Unbelebte, alles Beständige und Unbeständige. Und all diese Geschöpfe bekamen die gleichen Eigenschaften, die sie während der vorherigen Schöpfung hatten, und mit ihnen werden sie wieder und wieder erscheinen. Getrieben von der charakterlichen Neigung zu Gewalt oder Frieden, Milde oder Härte, Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, Wahrhaftigkeit oder Lüge erhält jedes Wesen in jeder neuen Schöpfung die jeweiligen Eigenschaften, die es zuvor gehegt hatte. Aus diesem Grund entsteht die Vielfalt der Schöpfung mit den unterschiedlichsten Eigenschaften. Es ist der Schöpfer (bzw. Lenker) selbst, der den fünf Elementen und den Sinnesobjekten diese Vielgestaltigkeit gibt, die Geschöpfe hin- und herbewegt und die Beziehungen zwischen ihnen und ihre Weltsicht bestimmt. So sehen manche Menschen sich persönlich als Urheber und Handelnden, manche sehen das göttliche Schicksal und andere die Gesetze der Natur. Manche sehen den Urheber und Handelnden auch in allen drein, mehr oder weniger gewichtet. Die einen behaupten dieses und die anderen jenes. Und wenn das eine wahr ist, muß das andere falsch sein. Das sind die natürlichen Streitigkeiten (bzw. Gegensätze) von jenen, welche in die Handlungen bezüglich der Sinnesobjekte verstrickt sind. Wer jedoch alles wahrhaft durchschaut, erkennt Brahma als die alleinige Ursache.

Entsagung ist das höchste Wohl aller Lebewesen. Die Wurzeln wahrhafter Entsagung sind Stille und Selbstzügelung. Durch Entsagung erfüllt man alle Wünsche. Durch Entsagung erreicht man das Wesen, aus dem das ganze Universum entsteht. Wer dieses Wesen erreicht, ist der wahre Herrscher. Durch Entsagung können die Rishis ununterbrochen die Veden lesen. Diesen heiligen Strom der Veden offenbarte am Anfang der Selbstgeborene als Verkörperung der Erkenntnis und als heiligen Klang, der weder Anfang noch Ende hat. Aus diesem Klang entstanden alle Arten der Handlungen. Auch die Namen der Rishis, alle verkörperten Geschöpfe, die Vielfalt der sichtbaren Formen und die Lebensweisen haben ihren Ursprung in diesen Veden. Wahrlich, am Anfang schuf der Höchste Meister aller Wesen all die Geschöpfe aus dem Veda Wort (am Anfang war das Wort…), weshalb auch alle Namen und Formen darin enthalten sind. So brachte der ungeschaffene Brahma am Ende seiner Nacht (in der Morgendämmerung des Brahma Tages) aus dem (karmischen) Potential vergangener Existenzen alle Geschöpfe wieder ins Dasein, und wahrlich, es war wohlgetan. Die Veden weisen damit auch den Weg zur Befreiung der Seele zusammen mit den zehn Mitteln, dem Studium der Veden, dem Hausleben mit Nachkommenschaft, der Entsagung, der Pflichterfüllung in allen Lebensweisen, dem Opfern, den heilsamen Taten der Reinigung, den drei Stufen der Meditation und jene Art der Befreiung, die man als wahren Erfolg in diesem Leben bezeichnet. Auf diesem Weg kann das unbegreifbare Brahman, das sich im Veda Wort offenbart und in den Upanishaden andeutet, von denen, die eine Einsicht in die Veden gewinnen, allmählich verwirklicht werden. Für eine Person, die denkt, daß sie einen Körper hat, wird das Bewußtsein der Dualität, das voller Widersprüche ist, allein aus den Taten geboren, mit denen sie sich identifiziert. Wer jedoch auf dem Weg wahrhafter Erkenntnis die Befreiung erreicht, löst dieses Bewußtsein der Dualität tiefgründig auf. So sollte man zwei Brahmas erkennen, das Wort (die Veden bzw. die hervorgebrachte Schöpfung) und das Höchste, was jenseits aller Erscheinungen ist. Wer Brahma im Wort wahrhaft erkennt, wird auch das Höchste erkennen.

Das große Opfer der Brahmanen ist die Entsagung, das Opfer der Kshatriyas ist der Kampf, Landwirtschaft ist das Opfer der Vaisyas, und der Dienst für die drei anderen Kasten ist das Opfer der Shudras. Im goldenen Krita Zeitalter war diese Leistung der Opfer unnötig. Erst im Treta Yuga wurden diese Opfer notwendig, im Dwapara wurden sie schwächer und im heutigen Kali Yuga verfallen sie (bzw. verlieren ihren Sinn). Im goldenen Krita Yuga verehrten die Menschen allein das ewige Brahman und betrachteten die Rig, Saman und Yajur Veden sowie die Riten und Opfer, die zum Wohle aller Wesen durchgeführt wurden, in diesem ewigen Licht, während die Entsagung ihr einziger Yoga wahr. Im silbernen Treta Yuga erscheinen viele machtvolle Männer, die alle irdischen Geschöpfe beherrschten (und obwohl das Volk nicht selbstverständlich die Gerechtigkeit bewahrte, waren die großen Herrscher doch fähig, sie entsprechend zu führen). So bestanden in diesem silbernen Zeitalter die Veden, die Opfer, die Kastenordnung und die vier Lebensweisen noch in einem verläßlichen Zustand. Nur die Lebenszeit nahm ab, und erst mit dem bronzenen Dwapara verloren die Veden ihre Zuverlässigkeit. Im eisernen Kali Yuga werden die Veden dann so schwach, daß sie von den Menschen kaum noch erkannt werden können. Bedrängt von der allgemeinen Ungerechtigkeit schwinden sie zusammen mit den gebotenen Riten und Opfern dahin. Die Gerechtigkeit, die es einst im goldenen Krita Zeitalter gab, läßt sich nur noch in jenen Brahmanen finden, die ihre Seele gereinigt haben und vollkommen der Entsagung und der Selbsterkenntnis hingegeben sind. Wenn auch die Menschen im Laufe der verfallenden Zeitalter nicht alle tugendhaften Taten aufgeben und die Aufgaben ihrer Kaste, die Gebote der Veden und die Riten der Opfer immer noch beachten, so geschieht dies doch zunehmend mit zweifelhafter Motivation für geringen Gewinn und immer weniger als wahrhafter Weg zur Befreiung.

Wie im Laufe der Jahreszeiten die große Vielfalt unterschiedlichster Pflanzen durch das Kommen und Gehen der Regenwolken gedeiht, so entstehen im Laufe der Yugas unterschiedlichste Arten der Pflichten und Riten. Und wie die gleichen Phänomene stets zur gleichen Jahreszeit auftauchen, so erscheinen auch die Zyklen der Zeitalter und das Entstehen und Vergehen der Welten. Ich sprach ja bereits von der Zeit, die ohne Anfang und Ende ist und diese Vielfalt im Weltall bestimmt. Es ist diese Zeit, die alles schafft und alles verschlingt. Die unzähligen Wesen, die dem Spiel der Gegensätze folgen und gemäß ihrer jeweiligen Natur existieren, sind alle der Zeit unterworfen. Es ist die Zeit, die alle Formen entfaltet, und es ist die Zeit, die sie erhält.

So habe ich dir, oh Sohn, über jene Themen berichtet, nach denen du gefragt hast, über die Schöpfung, die Zeit, die Opfer und andere Riten, über die Veden, das Handeln und den wahren Handelnden im Universum sowie den Weg der Erlösung.


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