Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 224 - Vali belehrt Indra über die Zeit

Bhishma sprach:
Noch einmal lächelte Indra über Vali, der wie eine Schlange seufzte, um dann weiter zu ihm zu sprechen, was er bereits angedeutet hatte.

Und Indra sprach:
Früher pflegtest du, begleitet von einem Zug aus tausenden Wagen und Gefolgsleuten durch die Welten zu wandern, mit deiner Herrlichkeit alles zu überstrahlen und uns nicht zu achten. Doch nun bist du sowohl von Gefolgsleuten als auch von Freunden verlassen. Angesichts dieser jämmerlichen Notlage, die dich eingeholt hat, grämst du dich darüber oder nicht? Früher waren alle Welten unter deiner Herrschaft und groß war deine Freude. So frage ich dich, ob du jetzt leidest bezüglich deines Niedergangs und der gegenwärtigen äußeren Umstände?

Vali sprach:
Oh Indra, all das betrachte ich als vorübergehend, wie es der Lauf der Zeit eben gebietet, und verliere mich nicht im Kummer. Diese Umstände werden ein Ende haben, wie auch die Körper der Wesen alle vorübergehend sind, oh Führer der Himmlischen. Deshalb, oh Indra, gräme ich mich nicht darüber. Ich sehe in meiner gegenwärtigen Gestalt weder etwas Fehlerhaftes noch meine Schuld. Das Leben und der Körper entstehen gemeinsam aufgrund ihrer Natur. Sie wachsen zusammen und vergehen zusammen. Wenn ich diese Existenzform jetzt auch erhalten habe, so bin ich ihr doch nicht dauerhaft unterworfen. Mit dieser Gewißheit habe ich keinen Grund zur Sorge. Wie alle Flüsse irgendwann in den Ozean eingehen, so gehen alle verkörperten Wesen in den Tod. Wer dies wahrhaft erkennt, wird diesbezüglich nie verwirrt, oh Träger des Donnerkeils. Wer jedoch von Leidenschaft und Verblendung überwältigt ist, kann dies nicht erkennen, und versinkt mit verlorener Vernunft unter der Last des Unglücks. Nur wer nach tiefgründiger Erkenntnis sucht, kann alle seine Sünden vernichten. Mit abnehmender Sünde wächst die Qualität der Güte, und das Gemüt wird licht und heiter. Wer ohne Güte ist und wiedergeboren wird, neigt zu Sorgen und Kummer und wird von der Begierde und den Sinnesobjekten an der Nase herumgeführt. Erfolg oder Niederlage bezüglich aller Ziele, Leben oder Tod sowie die Früchte der Handlungen, welche als Glück oder Leid erscheinen, sind für mich weder liebens- noch hassenswert. Wenn man getötet wird, wird nur der Körper getötet, und wer denkt, daß er andere Wesen töten könnte, ist selbst bereits tot. Diese beiden sind wahrlich verblendet, wer denkt, daß er tötet, und wer denkt, daß er getötet wird.

Wer, oh Indra, einen Sieg errungen hat und mit seiner Heldenkraft prahlt, sollte bedenken, wer eigentlich der Handelnde ist. Dieses Werk, worauf er so stolz ist, wurde von dem vollbracht, der in Wahrheit jedes Werk vollbringt. Wenn die Frage erscheint, wer es ist, der dieses Werden und Vergehen aller Geschöpfe in der Welt hervorbringt, betrachtet man gewöhnlich eine Person als Täter. Durchschaue diese Verbindung von Täter und Person! Aus den fünf Elementen von Erde, Feuer, Raum, Wasser und Wind werden alle Geschöpfe gebildet. Warum sollte ich mich deshalb über meine gegenwärtige Gestaltung grämen? Ob gelehrt oder dumm, ob kraftvoll oder schwach, ob schön oder häßlich, ob glücklich oder unglücklich - alle werden im Strom der unergründlichen Zeit durch ihre natürliche Macht fortgeschwemmt. Wenn ich weiß, daß ich durch die Zeit besiegt worden bin, warum sollte ich mich darüber grämen? Wer irgendetwas verbrennt, verbrennt stets etwas, was bereits verbrannt worden ist. Wer tötet, tötet stets ein Opfer, das bereits getötet wurde. Wer getötet wird, wurde bereits zuvor getötet. Was jemand zu ergreifen wünscht, ist bereits ergriffen und zum Erwerb bestimmt. Die Zeit gleicht einem Ozean, in dem es keine Insel gibt. Wahrlich, wo sind ihre Ufer? Ihre Grenzen sind unergründlich. Wie tief ich auch nachdenke, ich sehe kein Ende dieses zeitlichen Stroms, welcher der große Lenker aller Wesen ist und sicher etwas Heiliges. Wenn ich nicht erkannt hätte, daß die Zeit alle Wesen zerstört, dann könnte ich vielleicht solche Gefühle der Euphorie, des Stolzes und des Zornes hegen, oh Herr der Sachi.

Warum bist du gekommen, um mich zu verurteilen, der ich jetzt die Gestalt eines Esels trage, der von Spreu lebt und seine Tage an einem einsamen Ort, weit von den Behausungen der Menschen verbringt? Wenn es sein sollte, könnte ich sogar jetzt verschiedene schreckliche Formen annehmen, bei deren Anblick du vor mir fliehen würdest. Es ist die Zeit, die alles gibt und alles nimmt. Es ist die Zeit, die alles bestimmt. Prahle nicht mit deiner Macht, oh Indra! Früher, oh Purandara, wurde alles erschüttert, wenn ich in Zorn geriet. Ich kenne die ewigen Eigenschaften aller Geschöpfe der Welt, die du auch kennen solltest, oh Indra. Wundere dich nicht über meinen Zustand, denn Wohlstand und sein Wachstum sind nicht unter eigener Kontrolle. Kindisch ist dein Geist, heute wie früher. Öffne deine Augen, oh Maghavat, und nimm Vernunft an, die auf Vertrauen und Wahrheit gegründet ist! Die Götter, Menschen, Ahnen, Gandharvas, Nagas und Rakshasas waren einst alle unter meiner Herrschaft. Das weißt du, oh Vasava! Ihr Geist war durch Unwissenheit getäuscht, und alle Wesen pflegten mir mit Worten zu schmeicheln, wie: „Verehrung der Himmelsrichtung, wo Vali, der Sohn von Virochana, verweilt!“ Oh Herr der Sachi, ich gräme mich nicht im geringsten, wenn ich an diese Verehrung denke. Ich fühle keine Scham über meinen Niedergang. Ich bin mir stets bewußt, daß ich unter der Herrschaft des großen Lenkers lebe. Es ist nicht selten, daß Hochgeborene mit vorzüglichen Eigenschaften und großer Heldenkraft mit ihren Angehörigen im Elend leben müssen. Das geschieht, weil es so bestimmt ist. In gleicher Weise leben manche, die in einer sündhaften Familie ohne Weisheit und Edelmut geboren wurden, im Glück mit all ihren Angehörigen. Auch das geschieht, weil es so bestimmt ist. So sieht man auch, oh Sakra, wie eine verheißungsvolle und schöne Frau ihr Leben im Elend verbringt, während eine häßliche mit allen ungünstigen Zeichen ihre Tage im großen Glück verlebt.

Was geschieht, oh Indra, ist nicht unser Werk. So ist auch diese Position, in der du gegenwärtig lebst, oh Träger des Donnerkeils, nicht dein Werk. Noch ist es mein Werk, daß ich all den großen Wohlstand verloren habe. Wohlstand und Armut kommen stets nacheinander. Daß ich dich heute in deiner Herrlichkeit strahlen sehe, voller Wohlstand und Schönheit an die Spitze aller Götter gestellt, und wie auch dein Hochmut mir gegenüber - das könnte niemals sein, wenn die Zeit dafür nicht wäre. Wahrlich, wenn mich die Zeit nicht besiegt hätte, dann könnte ich dich unverzüglich mit nur einem Faustschlag töten, trotz deines Donnerkeils. Aber es ist nicht die Zeit dafür, meine Heldenkraft zu zeigen. Im Gegenteil, die Zeit gebietet mir, sich friedlich und ruhig zu verhalten. So bringt die Zeit alles hervor. Die Zeit arbeitet in allen Erscheinungen und führt alles zu seiner Bestimmung. Einst war ich der verehrte Herr der Danavas. Mit meiner Energie konnte ich alles verbrennen und ließ voller Kraft und Stolz meinen Schlachtruf ertönen. Wenn die Zeit sogar mich angegriffen hat, wen würde sie verschonen? Damals, oh Führer der Götter, konnte ich allein die ganze Energie aller zwölf ruhmreichen Adityas ertragen, dich eingeschlossen. Ich war es, der das Wasser heraufzog, um es als Regen auszuschütten. Ich war es, der den drei Welten Licht und Wärme gab. Ich war es, der beschützen und zerstören konnte. Ich war es, der geben und nehmen konnte. Ich war es, der binden und freilassen konnte. In allen Welten war ich ein mächtiger Herrscher. Doch nun, oh Führer der Himmlischen, ist diese souveräne Herrschaft vergangen, und ich werde von der Macht der Zeit bedrückt. Deshalb sieht man diese strahlende Herrschaft nicht mehr an mir. Doch das ist nicht mein Werk und auch nicht deines, oh Indra. Niemand sonst, oh Herr der Sachi, ist der Täter als die Zeit, die alles schafft, bewahrt und zerstört.

Die Vedenerfahrenen bezeichnen die Zeit als Brahma. Die Wochen und Monate sind sein Körper, die Tage und Nächte seine Kleider, die Jahreszeiten seine Sinne und das Jahr sein Mund. Deshalb sagen die Weisen, daß alles Brahman ist. So lehren die Veden auch, daß die fünf Hüllen der Seele als Brahman betrachtet werden sollten (die fünf Koshas: Materie, Lebensatem, Gedanken, Vernunft und Seligkeit). Dieses Brahman ist tief und unergründlich wie der riesige Ozean voller Wasser. Man sagt, es hat weder Anfang noch Ende und ist weder zerstörbar noch unzerstörbar. Obwohl es selbst ohne Eigenschaften ist, so bringt es doch alles Existierende hervor und nimmt entsprechende Eigenschaften an. Jene, welche die Wahrheit schauen, betrachten das Brahman als ewig. Durch das Handeln in Unwissenheit verursacht das Brahman die Verbindung der Körperlichkeit mit der Seele, welche unkörperlicher Geist ist (und Erkenntnis allein als Eigenschaft hat). Das Körperliche ist dagegen keine wesenhafte Eigenschaft der Seele, weil sich durch wahrhafte Erkenntnis das Körperliche der Seele auflöst (wie eine Illusion). Brahman ist in Form der Zeit die Zuflucht aller Wesen. Wohin könntest du jenseits der Zeit gehen? Der Zeit wie dem Brahman kann man nicht entkommen, weder durch Weglaufen noch Stillstehen. Doch unfähig sind die fünf Sinne, das Brahman zu erkennen. Einige bezeichnen das Brahman als Feuer oder Prajapati, manche als Jahreszeiten, Monate, Wochen, Tage oder Stunden, andere als Morgen, Mittag oder Abend und wieder andere als Moment. So sprechen verschiedene Leute unterschiedlich von dem, das doch das Eine ist. Erkenne Es als Ewigkeit, unter deren Herrschaft alle Geschöpfe stehen!

Viele Tausende von Indras sind bereits dahingegangen, oh Vasava, von denen jeder voller Macht und Heldenkraft war. Auch du, oh Herr der Sachi, wirst auf diese Weise vergehen müssen. Auch dich, oh Sakra, voller Macht und Stolz als Führer der Götter, wird die allmächtige Zeit auslöschen, wenn deine Stunde kommt. Die Zeit wandelt alles. Deshalb prahle nicht, oh Indra! Die Zeit kann weder von dir, noch von mir oder irgendwem beruhigt werden. Dieser königliche Wohlstand, den du meinst, erreicht zu haben, und als unvergleichlich betrachtest, war einst mein Besitz. Er ist unwesentlich und unwirklich und verweilt nicht lange an einem Ort. Wahrlich, er gehörte bereits Tausenden von Indras vor dir, welche dir alle überlegen waren. Unbeständig wie er ist, hat er auch mich verlassen und ist nun zu dir gekommen, oh Führer der Götter. Deshalb, oh Sakra, verliere dich nicht in solcher Prahlerei! Mögest du dich beruhigen! Denn wenn der Wohlstand dich voller Hochmut findet, wird er schnell entfliehen.


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