Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 219 - Panchasikha über Abhängigkeit und Erlösung

Bhishma sprach:
Nachdem König Janaka vom großen Rishi Panchasikha so unterwiesen wurde, fragte er ihn erneut zum Thema Sein oder Nichtsein nach dem Tode.

Janaka sprach:
Oh Ruhmreicher, wenn man über den Tod hinaus sein Wissen nicht bewahren kann, was ist dann der Unterschied zwischen Unwissenheit und Erkenntnis? Was gewinnt man durch Erkenntnis, und was verliert man durch Unwissenheit? Oh Erster der Zweifachgeborenen, wenn alles vergänglich ist, dann enden auch alle religiösen Taten und Gelübde in der Vernichtung. Welchen Nutzen hätte dann eine Unterscheidung zwischen Achtsamkeit und Unachtsamkeit? Wenn Befreiung die Trennung von allen Dingen des Vergnügens und der Anhaftung an Vergänglichem bedeutet, weshalb streben die Menschen dann nach Taten und ersinnen Mittel, um ihre Ziele zu erreichen? Was ist die Wahrheit zu diesem Thema?

Bhishma fuhr fort:
Als der weise Panchasikha den König in diese dichte Dunkelheit gehüllt sah, von Unwahrheit betäubt und hilflos, sprach er noch einmal zu ihm:

Angesammeltes geht weder verloren, noch existiert es wahrhaft. Die Ansammlung des Körpers, der Sinne und des Geistes nehmen wir als eigene Existenzen wahr, die aufeinander einwirken und entsprechend handeln. Doch die Körper werden aus Wasser, Raum, Wind, Feuer und Erde gebildet, bestehen gemäß ihrer Natur und lösen sich entsprechend wieder auf. Wenn damit die fünf Elemente in ihrer Vereinigung den Körper formen, so ist der Körper keine unabhängige Einheit. Bewußtsein, Körperwärme und Lebensatem bilden die dreifache Lebensgrundlage, auf die sich die Sinne und ihre Objekte, die Wahrnehmung, das Denken, die Atmung und die anderen Körperwinde sowie die Verdauung stützen. Hören, Fühlen, Schmecken, Sehen und Riechen sind die fünf Sinne, die vom Denken abhängig sind und geprägt werden. Sogar das Bewußtsein besteht als Eigenschaft der Seele abhängig von den drei Zuständen, nämlich mit Glück, mit Leid oder frei von Glück und Leid (bzw. zufrieden). Die Sinneseindrücke durch Klang, Gefühl, Form, Geschmack und Geruch sowie das Denken sind bis zum Tode die Grundlagen des Erkennens (bzw. der Wahrnehmung). Davon sind alle Handlungen abhängig, wie auch Entsagung und Wahrhaftigkeit. Die Weisen sagen, daß die Erkenntnis der Wahrheit das höchste Lebensziel ist und damit der Samen oder die Wurzel der Befreiung. Eine Person, die diese abhängige Verbindung von vergänglichen Erscheinungen (den Körper und die Sinneserfahrungen) als eigenständige Seele (als „Ich“) betrachtet, wird aufgrund dieser Illusion unendlich viel Leiden erfahren müssen. Wer dagegen die Seele jenseits aller weltlichen Erscheinungen erkennt und alle ichhaften Gedanken an mein und dein überwindet, der zerstört die Quelle, aus der die vielfältigen Leiden strömen. Diesbezüglich gibt es die unvergleichliche Lehre über die Entsagung, welche Samyagradha (die „Anhaftung Lösende“) genannt wird. Höre achtsam, ich werde sie dir als Weg zur Erlösung verkünden.

Entsagung (von den Früchten) aller Taten ist allen geboten, die ernsthaft nach Befreiung suchen. Die Unwissenden sehen darin etwas höchst Unerträgliches. All die vedischen Opfer und Riten existieren allein für die Entsagung von Reichtum und anderen Besitztümern. Zur Entsagung der Sinnesgenüsse existieren die verschiedenen Gelübde des Fastens und zur Entsagung von Freude und Glück die Askese und der Yoga. Freiheit von jeglicher Anhaftung ist die höchste Entsagung. Dafür wird von den Weisen der Weg gelehrt, den ich dir nun verkünden werde. Wer sich diesem unvergleichlichen Pfad widmet, wird wahrlich alles Leiden überwinden. Nachdem ich die fünf Erkenntnisorgane mit dem Denken als sechstes genannt habe, die alle in der Vernunft verankert sein sollten, spreche ich nun von den fünf Handlungsorganen, welche die Kraft als sechstes haben. Dazu gehören die Hände zum Arbeiten, die Füße zum Gehen, das Geschlechtsorgan zur Wollust und Fortpflanzung, der After zur Entleerung und das Sprachorgan zur Rede. Erkenne, daß auch diese fünf Handlungsorgane vom Denken abhängig sind. Zusammen sind sie die elf Organe der Erkenntnis und des Handelns. Mit der Vernunft und dem Denken möge man sie überwinden.

Zum Hören gibt es drei Bedingungen, nämlich die Ohren, den Klang und das Hörbewußtsein. Dasselbe gilt für die Wahrnehmung der Berührung, der Form, des Geschmacks und Geruchs. Dies sind die fünfzehn verschiedenen Bedingungen für die Sinneswahrnehmungen der Menschen. Jede Wahrnehmung ist wiederum von den drei natürlichen Qualitäten der Güte, Leidenschaft und Dunkelheit (Sattwa, Rajas und Tamas) abhängig. Damit entstehen die drei Neigungen des Bewußtseins einschließlich aller Gefühle und Empfindungen. Entzücken, Zufriedenheit, Heiterkeit, Glück und Ruhe gehören zur Qualität der Güte. Unzufriedenheit, Reue, Schmerz, Habgier und Rachsucht kommen stets aus der Leidenschaft, und Irrtum, Verwirrung, Unachtsamkeit, Träumerei und Schläfrigkeit aus der Dunkelheit. So erkenne jeden beliebigen Zustand des Bewußtseins bezüglich des Körpers oder des Geistes in Verbindung mit Heiterkeit und Zufriedenheit als geboren aus der natürlichen Qualität der Güte. Jeder Bewußtseinszustand in Verbindung mit allen Gefühlen der Unzufriedenheit oder des Ärgers erkenne als geboren aus der natürlichen Qualität der Leidenschaft und jeden Zustand bezüglich des Körpers oder des Geistes, der durch Irrtum oder Unachtsamkeit gekennzeichnet ist, als geboren aus der natürlichen Qualität der Dunkelheit (also alles nichts „Eigenes“). Das Hörorgan beruht auf dem Raum und ist in seinem Wesen Raum. Der Klang ist eine Erscheinung des Raumes und hat das Hörorgan als Zuflucht. Aber beim Hören ist man sich gewöhnlich weder des Ohres noch des Raumes bewußt. Hört man jedoch mit Achtsamkeit, wird man sich bald auch des Hörorgans und des Raumes bewußt. (Damit ist auch das Gehörte nichts „Eigenes“.) Dasselbe gilt für das Fühlen, Sehen, Schmecken und Riechen mit den entsprechenden Organen auf der Basis der zugehörigen Elemente. Die gewöhnliche Wahrnehmung und das Denken sind von ihnen abhängig.

Diese fünf Handlungsorgane und fünf Erkenntnisorgane mit ihren speziellen Funktionen bestehen als Ansammlung, worin das Denken als elftes wohnt. Und über allen thront als zwölftes die Vernunft. Wenn diese zwölffache Ansammlung wieder zerfällt, spricht man vom Sterben und schließlich vom Tod im traumlosen Schlaf. Sind diese zwölf verbunden, sind die Bedingungen des Lebens gegeben. Das ist die gewöhnliche Verstrickung der Seele in die Welt (des „Träumens“). Der Träumer wird sich aufgrund des angesammelten Karmas seiner Sinne bewußt und haftet den drei natürlichen Qualitäten (der Güte, Leidenschaft und Dunkelheit) an. So betrachtet er seine Sinne und ihre jeweiligen Objekte als wahrhaft existierend (sogenannte „Wahrnehmung“), wodurch er mit seinem vermeintlichen Körper strebt und handelt, als wäre er etwas Getrenntes (bzw. „Eigenes“). Diese Trennung der Vernunft und des Denkens mit den Sinnen von der höchsten Seele macht alles vergänglich und läßt unter dem Einfluß der Dunkelheit (bzw. Unwissenheit) den Traum der Welt erscheinen. Doch dieses Träumen, so sagen die Weisen, ist Glückseligkeit (bzw. Erkenntnis), die von der Natur der Dunkelheit überwältigt wurde und in diesem grobstofflichen Körper erfahren wird. Solange diese Erkenntnis von der Dunkelheit beherrscht wird, sieht man überall nur Traumhaftes, selbst wenn man von den Veden inspiriert wird. Durch wahre Erkenntnis lösen sich, wie im traumlosen Schlaf, alle eigenständigen Subjekte und Objekte auf, welche aufgrund des angesammelten Karmas erscheinen und nur für jene völlig real sind, die von Unwissenheit überwältigt wurden. Wer jedoch die Unwissenheit überwunden und Selbsterkenntnis gewonnen hat, der wird von ihnen nicht mehr bedrängt. Die Wissenden bezüglich der Seele bezeichnen diese ganze Ansammlung (der Sinne usw.) als Körper (Kshetra bzw. Feld) und das, worauf das Erkennen beruht, wird Seele genannt (Kshetrajna bzw. Feldkenner).

Wenn dem so ist, und wenn alle Wesen entsprechend ihrer Natur durch karmische Ursachen existieren (wie Unwissenheit, Begierde und Haß), worin besteht dann die Erlösung? Wie kleine Flüsse in größere fließen und ihre Namen und Formen verlieren, und die größeren in den Ozean eingehen und ebenfalls Name und Form verlieren, auf diese Weise kann man sich die Auflösung der Person vorstellen, was man auch Befreiung nennt. Dabei verschmilzt das Ich im Selbst zur alldurchdringenden Seele, und alle eigenen Merkmale verschwinden. Wie könnte dann noch ein Objekt der Benennung durch Unterscheidung bestehen? Wer diese Selbsterkenntnis verwirklicht hat, wird nicht mehr von den Früchten seiner Taten verunreinigt, wie die Lotusblüte vom Schmutz des Wassers unberührt bleibt. Wenn man von den äußerst starken und zahlreichen Bindungen frei wird, die durch Zuneigung für Kinder, Gatten, Gewohnheiten und Riten verursacht werden, wenn man sowohl das Leiden als auch die Freude überwindet und jegliche Anhaftung löst, erreicht man das Höchste und verschmilzt ununterscheidbar mit der universalen Seele. Wer die Gebote der heiligen Schriften versteht, die zur wahrhaften Erkenntnis (des Brahman) führen und jene verheißungsvollen Tugenden geübt hat, kann gelassen ruhen, denn alle Ängste vor Alter und Tod vergehen im Nichts. Wem sowohl Verdienste als auch Sünden schwinden, wer alle Früchte in Form von Glück und Leid verbrannt hat und keine Anhaftung mehr kennt, der nimmt zuerst Zuflucht zu Brahma als Person und erkennt dann das unpersönliche Brahman durch seine höhere Vernunft. Die verkörperte Seele lebt hier auf ihrem Weg durch die Welt unter dem Einfluß von Unwissenheit (in einer durch Taten gebildeten Kapsel) wie eine Seidenraupe, die innerhalb ihres Kokons wohnt, der aus eigenen Fäden gewebt wurde. Und wie die wachsende Seidenraupe ihren Kokon auflöst (und als Schmetterling entfliegt), so verläßt auch die verkörperte Seele ihr durch Taten gewirktes Haus. Dabei zerstreuen sich ihre Sorgen wie ein trockener Erdklumpen, der auf einem Stein zerstiebt. Wie ein Ruru Hirsch sein altes Geweih oder die Schlange ihre Haut abwirft und ohne jede Anhänglichkeit weiterzieht, auf dieselbe Weise legt jener das Leiden ab, der keine Anhaftung mehr kennt. Wie der Vogel einen ins Wasser stürzenden Baum verläßt, ohne sich weiter daran festzuhalten, auf dieselbe Weise verläßt ein von Anhaftung Befreiter das Glück und das Leiden und erreicht jenseits des subtilen und subtilsten Körpers das höchste Heil. Dein eigener Vorfahr, oh Janaka, verkündete als König von Mithila, während er eines Tages seine Stadt in einer Feuersbrunst brennen sah: „In dieser Feuersbrunst verbrennt nichts, was mein wäre.“

Als König Janaka diese Worte von Panchasikha gehört hatte, die zur Unsterblichkeit führen konnten, und nach tiefgründiger Meditation darüber zur Erkenntnis kam, lösten sich all seine Sorgen in ein Leben voller Heiterkeit auf. Oh König, wer dieses Gespräch achtsam liest, das von der Befreiung handelt, und beständig darüber meditiert, wird nie mehr von Katastrophen überwältigt werden und erreicht, von Sorgen frei, die Erlösung wie König Janaka, nachdem er Panchasikha getroffen hatte.


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