Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 214 - Über den Weg zur Erlösung

Bhishma sprach:
Ich werde dir jetzt erzählen, was die Mittel sind (um die Sinne zu überwinden), die man mit der Leuchte der heiligen Schriften erkennen kann. Mit diesem Wissen und entsprechendem Verhalten, oh König, kann man das höchste Ziel erreichen. Unter allen Lebewesen gilt der Mensch als Vorzüglichstes, unter den Menschen der Zweifachgeborene und unter den Zweifachgeborenen die Meister der Veden. Sie sind zum Selbst aller Wesen geworden, allwissend und alles durchschauend. Sie haben das Brahman wahrhaft erkannt. Wie ein Blinder ohne Führer entlang seines Weges auf viele Hindernisse stößt, so wird ein Unwissender auf unzählige Hindernisse in der Welt stoßen. Deshalb sind die mit Erkenntnis Gesegneten höchst bedeutend in der Welt. Wer wünscht, große Verdienste anzusammeln, der pflegt die verschiedensten Riten gemäß den Geboten der Schriften. Befreiung erreichen sie damit noch nicht, aber die verdienstvollen Qualitäten, wie Reinheit der Rede, des Körpers und des Geistes, Vergebung, Wahrhaftigkeit, Beständigkeit und Weisheit. Diese Qualitäten entfalten sich bei den Rechtschaffenen, welche das zweifache religiöse Gelübde beachten (Entsagung und Erkenntnis). Dies wird Brahmacharya genannt und gilt als Mittel, um das Brahman zu erreichen. Es ist die Beste aller religiösen Übungen, denn damit geht man den Pfad zum Höchsten. Brahmacharya löst die Anhaftung an die fünf Lebenswinde, an Gedanken, Verstand, die fünf Sinne der Wahrnehmung und die fünf Organe des Handelns. Sie befreit damit von allen illusorischen Wahrnehmungen. Erst dann besteht reines Hören, reines Sehen und reines Denken, von allen Anhaftungen befreit. Dieses sündlose Dasein erreicht man allein auf dem Wege der Vernunft. Wer dies vollkommen verwirklicht, gelangt zu Brahma. Wer dies halb verwirklicht, gelangt zum Zustand der seligen Götter, und wer sich bereits aufrichtig bemüht, der wird unter gelehrten Brahmanen als Weiser wiedergeboren.

Brahmacharya ist äußerst schwer zu verwirklichen. Höre über die richtigen Mittel. Der Zweifachgeborene, der sich dazu entschließt, sollte alle Leidenschaften zügeln, sobald sie sich zeigen und noch bevor sie stark werden können. Wer sich diesem Gelübde hingibt, sollte den Kontakt mit Frauen meiden und seine Augen nie auf eine Unbekleidete richten. Bereits der Anblick von Frauen, selbst unter gewöhnlichen Umständen, füllt alle unwissenden Männer mit Leidenschaft. Wenn ein Mann (der dieses Gelübde beachtet), ein starkes Begehren nach dem Weiblichen in seinem Herzen fühlt, sollte er (als Sühne) drei Tage das Fastengelübde einhalten oder im Wasser stehen. Wenn das Begehren während eines Traumes erscheint, sollte man ein reinigendes Bad nehmen und dreimal im Geiste das sündetilgende Aghamarshana Gebet des Rig Veda wiederholen. Der Weise, der sich zur Übung dieses Gelübdes mit weitsichtigem und erkennendem Geist entschlossen hat, verbrennt damit die Sünden in seinem Geist, die aus der Qualität der Leidenschaft entspringen.

Man sollte erkennen, daß man an diesen Körper gebunden ist wie an eine Leiche oder an etwas Unreines. Die verschiedenen Arten der Säfte, die durch das Netz der Adern strömen, nähren im Menschen Wind, Galle Schleim, Blut, Haut, Fleisch, Eingeweide, Knochen und Mark, sozusagen den ganzen Körper. Wisse, daß es zehn Hauptkanäle gibt, welche die Funktionen der fünf Sinne stützen. Aus jenen zehn breiten sich tausende Nebenkanäle aus, die immer subtiler werden. Wie die Flüsse zur rechten Jahreszeit den Ozean füllen, so ernähren diese Kanäle mit ihren Säften den Körper. Zum Herzen führt der Kanal Manovaha. Er zieht aus jedem Teil des menschlichen Körpers den Lebenssamen zusammen, welcher aus der Begierde geboren wird. Viele andere Kanäle breiten sich von diesem Hauptkanal in alle Körperteile aus und tragen das Feuerelement in die Sinne, wie zum Beispiel die Augen. Wie die Butter, die in der Milch verborgen ist, mit dem Quirl herausgequirlt wird, so quirlt auch die Begierde den Lebenssamen hervor, der im Körper verborgen liegt. Wie sogar im Traum die illusionsgeborene Leidenschaft das Denken ergreift, so ergreift und ergießt der erwähnte Kanal Manovaha den Lebenssamen, welcher aus der Begierde entsteht. Der große und göttliche Rishi Atri erkannte und verkündete, daß die durch Nahrung gebildeten Säfte, der Kanal Manovaha (zum Herzen) und die illusionsgeborene Begierde als Dreiheit die Ursachen sind, welche den Lebenssamen hervorbringen, der Indra als Schutzgott hat. Die Leidenschaft, welche diesen Lebenssaft strömen läßt, wird deshalb Indriya genannt. Wer so das Wesen des Samens, der die Vermischung der Wesen verursacht, wahrhaft erkennt, der kann seine Leidenschaften zügeln, bis alle Sünden verbrannt wurden und das Rad der Wiedergeburt überwunden ist. Wer nur handelt, um diesen Leib zu bewahren, mithilfe der Vernunft die drei Qualitäten (der Güte, Leidenschaft und Dunkelheit) in einen ausgeglichenen Zustand der Stille bringt und im Sterben die Lebenswinde im Manovaha Kanal sammelt, der kann dem Zwang der Wiedergeburt entkommen.

Die Gedanken erzeugen jegliches Wissen. Alle Formen dieser Welt sind nichts als Gedanken. Die Hochbeseelten erreichen durch Meditation die geistige Erlösung, befreit vom Begehren, zeitlos und alles durchstrahlend. Um die Gedanken zu stillen, sollte man stets voller Reinheit handeln und Leidenschaft und Dunkelheit (durch Entsagung) überwinden. So ist jenes Höchste zu erreichen, das so schwer zu erreichen ist. Wie im reifenden Alter das Wissen junger Jahre verblaßt und erlischt, so reift die Erkenntnis (und erlischt das Karma) durch die Verdienste vieler Leben auf dem Pfad zur Erlösung. Und wie ein Reisender einen Weg voller Hindernisse geht und vollendet, so löst er die Fesseln des Körpers und der Sinne, verbrennt alles Karma und trinkt den Nektar der Unsterblichkeit.


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