Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 210 - Über die Entstehung der Seele

Yudhishthira sprach:
Belehre mich, oh Herr, über diesen hohen Yoga, durch den ich, oh Bharata, Befreiung erreichen kann. Oh Erster der Redner, ich wünsche aufrichtig alles über diesen Yoga zu erfahren.

Und Bhishma sprach:
Diesbezüglich berichtet man von einem Gespräch zwischen einem Lehrer und seinem Schüler zum Thema Befreiung. Einst gab es einen zweifachgeborenen Lehrer, welcher der Erste der Rishis war und wie ein Berg weißer Wolken erschien. Er war hochbeseelt, wahrhaftig und ein vollkommener Meister seiner Sinne. Eines Tags berührte ein Schüler mit großer Intelligenz und Achtsamkeit, der das Höchste Heil suchte, die Füße dieses Lehrers, stand danach mit gefalteten Händen vor ihm und sprach:
Wenn du, oh Berühmter, mit meiner Verehrung zufrieden bist, dann bitte ich dich, mir einen großen Zweifel zu lösen. Woher komme ich, und woher kommst du? Belehre mich umfassend. Was ist die erste Ursache? Und wenn diese erste Ursache in allen Geschöpfen gleich ist, warum, oh Bester der Zweifachgeborenen, geschehen ihre Geburt und ihr Tod so unterschiedlich? Mögest du mir auch, oh Gelehrter, die Behauptungen der Veden diesbezüglich erklären sowie die Lehren der Smritis, die für alle Menschen gelten.

Der Lehrer sprach:
Höre, oh Schüler, oh Weisheitsvoller! Was du mich gefragt hast, ist das tiefste Geheimnis der Veden und die höchste Herausforderung für das Denken und Lehren. Es wird Adhyatma (Höchste Seele oder Selbst) genannt und ist von allen Zweigen des Lernens und heiligen Überlieferungen am wertvollsten. Vasudeva ist das Höchste und die erste Ursache des Universums. Er ist der Ursprung der Veden (das OM). Er ist Wahrheit, Erkenntnis, Opfer, Entsagung, Selbstzügelung und Gerechtigkeit. Die Vedenerfahrenen kennen Ihn als den Alldurchdringenden, Ewigen, Allgegenwärtigen, Unmanifesten, Unveränderlichen, als Schöpfer, Zerstörer und Brahman. Höre jetzt die Geschichte von Ihm, der seine Geburt im Stamme der Vrishnis nahm. Ein Brahmane sollte von der Größe dieses Gottes der Götter mit der unermeßlichen Energie, der auch den Namen Vishnu trägt, von den Lippen anderer Brahmanen hören. Ein Mitglied der königlichen Kaste sollte dies von Kshatriyas hören, ein Vaisya von Vaisyas und ein hochbeseelter Shudra von Shudras. Du bist würdig dafür. So höre jetzt die verheißungsvolle Geschichte von Krishna, die von allen Geschichten die Erste ist.

Vasudeva ist das Rad der Zeit, ohne Anfang und ohne Ende. Existenz und Nichtexistenz (bzw. Sein und Nichtsein) sind die Attribute, wodurch man sein wahres Wesen erkennen kann. In Ihm dreht sich die ganze Welt wie ein Rad. Oh Bester der Menschen, Kesava, dieses Erste aller Wesen, gilt als das Unzerstörbare und Unmanifeste. Er ist das unsterbliche und unveränderliche Brahman. Als das Höchste von allem, das selbst ohne Wandel oder Verfall ist, erschuf Es die Vielfalt der Pitris, Götter, Rishis, Yakshas, Rakshasas, Nagas, Dämonen und Menschen. Er ist Es, der auch die Veden und die ewigen Lebensaufgaben und Gebräuche der Menschen erschuf. Er ist Es, der am Ende alles zur Nichtexistenz auflöst und am Anfang wieder zur Existenz entfaltet. Wie die unterschiedlichen Jahreszeiten mit ihren besonderen Merkmalen kommen und gehen, so erscheinen auch die Geschöpfe am Anfang jedes Brahmatages. Zusammen mit den Geschöpfen erscheinen auch die Weltgesetze sowie das Wissen über die Regeln und Aufgaben, um den Lauf der Welt zu führen. Zuerst sind es die großen Rishis, die sich durch Entsagung und die Gnade des Selbstgeborenen an die Veden und alles heilige Wissen erinnern, das zum Ende jedes Brahmatages aus der Welt verschwindet. Dabei erinnerte sich Brahma als Erster an die Veden. An ihre Zweige (die Angas) erinnerte sich zuerst Vrihaspati (der Lehrer der Götter) und an das Wissen der Herrschaft, welches für die Welt so bedeutend ist, zuerst Sukra, der Sohn des Bhrigu (und Lehrer der Dämonen). Die Wissenschaft der Musik erwarb zuerst Narada, die Kriegskunst erwarb Bharadwaja, die Geschichte der himmlischen Rishis erwarb Gargya und die Heilkunst erwarb Krishnatreya, der dunkelhäutige Sohn von Atri. Verschiedene andere Rishis, deren Namen damit verbunden sind, empfingen verschiedene Wissenschaften wie Nyaya, Vaisheshika, Sankhya, Patanjala usw.. Deshalb sollte man das Brahman verehren, wodurch jene Rishis die Veden und das heilige Wissen empfangen haben. Weder die Götter noch die Rishis können dieses anfangslose Brahman ergreifen, dieses Höchste von allem. Nur der heilige Schöpfer aller Dinge, der mächtige Narayana allein, kennt das Brahman. Von Narayana leiten die Rishis, die großen Götter und Dämonen sowie die königlichen Weisen das Wissen über die höchste Heilung aller Leiden ab. So erscheint auch die Natur durch die Wirkung dieser ursprünglichen Energie (von Narayana), und das ganze Weltall fließt daraus hervor. Wie man mit einer brennenden Fackel unzählige andere Fackeln entzünden kann, so bringt diese entfaltete Natur unzählige andere Geschöpfe hervor und ist somit unerschöpflich. Aus dieser unmanifesten Quelle fließt auch die universale Intelligenz, welche durch Handlungen (bzw. Karma) geprägt wird. Aus der Intelligenz entsteht das Bewußtsein, aus dem Bewußtsein der Raum, aus dem Raum der Wind, aus dem Wind das Feuer, aus dem Feuer das Wasser, und aus dem Wasser entsteht die Erde. Diese acht bilden die ursprüngliche Natur, worauf das ganze Weltall beruht. Aus diesen acht entstehen als umgewandelte Erscheinungen die fünf Sinnesorgane, die fünf Handlungsorgane, die fünf Merkmale der Sinnesobjekte und das Denken als sechzehntes. Ohr, Haut, Augen, Zunge und Nase sind dabei die fünf Sinnesorgane. Füße, After, Zeugungsorgan, Arme und Sprache sind die fünf Handlungsorgane. Klang, Gefühl, Gestalt, Geschmack und Geruch sind die fünf Merkmale der Sinnesobjekte, die alles umhüllen. Das Denken thront über allen Sinnen und ihren Objekten. In der Wahrnehmung des Geschmacks ist es das Denken, das zur Funktion der Zunge wird. In der Rede ist es das Denken, das zu den Worten wird. Verbunden mit den verschiedenen Sinnen ist es das Denken, das zu all den Objekten wird, welche in der Wahrnehmung erscheinen. Diese sechzehn, die in ihren besonderen Formen erscheinen, sollte man als Götter kennen, welche Ihn verehren, der jede Erkenntnis ermöglicht und innerhalb jedes Körpers wohnt.

Geschmack ist das Merkmal von Wasser, Geruch ist das Merkmal der Erde, Hören ist das Merkmal des Raumes, Sehen ist das Merkmal des Feuers oder Lichtes, und Gefühl gilt als das Merkmal des Windes für alle Geschöpfe zu jeder Zeit. Das Denken gilt als ein Merkmal der Existenz. Existenz entsteht aus dem Unentfalteten, das in Ihm ruht, der die Höchste Seele aller Geschöpfe ist. Dies sollte jede intelligente Person erkennen. Alles Existierende beruht auf der höchsten Gottheit, die jenseits der entfalteten Natur und ohne jede Neigung zur Handlung ist, aber dieses ganze Weltall mit allem Belebten und Unbelebten aufrechterhält. Dieses heilige Gebäude mit den neun Toren (der Körper) ist von diesem Existierenden erfüllt, und die alldurchdringende Höchste Seele wohnt darin. Deshalb wird sie Purusha (Höchster Geist) genannt. Diese Seele ist ohne Verfall und nicht dem Tode unterworfen. Sie kennt das Entfaltete und Unentfaltete. Sie durchdringt alles, trägt die drei Qualitäten, ist von höchster Feinheit und die Grundlage aller Existenzen und Erscheinungen. Wie eine große oder auch kleine Lampe die Objekte sichtbar macht, so wohnt die Seele in allen Wesen als die Grundlage jeglicher Erkenntnis. Wenn das Ohr hört, was hörbar ist, so ist es die Seele, die hört. Wenn das Auge sieht, so ist es die Seele, die sieht. Dieser Körper ist nur das Mittel, durch das die Seele Erkenntnis sammelt. Die körperlichen Organe sind nicht die Handelnden. Es ist die Seele, die alle Taten bewirkt. So wie man das Feuer im Holz nicht sehen kann, wenn man es zerspaltet, so wohnt die Seele im Körper und kann nicht gesehen werden, wenn man den Körper untersucht. Doch wie man das Feuer, das im Holz wohnt, mit den richtigen Mitteln, wie zum Beispiel durch Reibung, entfachen und dann erkennen kann, so kann man auch die Seele, die im Körper wohnt, mit den richtigen Mitteln, nämlich durch Yoga, erkennen. Wie das Wasser mit den Flüssen und die Lichtstrahlen mit der Sonne, so ist die Seele mit dem Körper verbunden. Diese Verbindung zieht sich durch die ganze (karmabedingte) Abfolge der Körper, welche die Seele bewohnen muß. Wie sich das Denken im Traum von den fünf Sinnen löst, den Körper verläßt und weit umherwandert, so verläßt die Seele im Tode (mit ihrem Karma) den Körper, um in einen anderen einzugehen. Dabei ist die Seele durch ihre angesammelten Taten gebunden. Und gebunden gelangt sie (im Rad der Geburten) von einer Existenz in die nächste. Wahrlich, durch ihre persönlichen Taten, welche bezüglich ihrer Früchte höchst mächtig sind, wird sie von einem Körper zum nächsten geführt.

Wie der Eigentümer des menschlichen Körpers seinen Körper verläßt und in einen anderen eingeht, und wie der ganze Bereich der Geschöpfe das Ergebnis ihrer jeweiligen Taten ist, das werde ich dir im Folgenden erklären.


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