Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 206 - Manu über die Erlösung im Brahman

Manu sprach:
Wenn die fünf Elemente mit den fünf Sinnen und dem Denken zum Einen verschmelzen, dann erkennt man die Höchste Seele wie einen Faden, der sich durch klare Edelsteine zieht. Wenn aber auf diesem Faden Gold, Perlen, Korallen oder andere irdische (undurchsichtige) Dinge aufgefädelt sind, so zieht sich die Seele (unsichtbar) aufgrund der eigenen Taten durch die Geschöpfe, sei es Kuh, Pferd, Mensch, Elefant oder jedes andere Lebewesen bis zu den kleinsten Würmern und Insekten. Die guten und schlechten Taten, die eine Person mit dem Körper vollbringt, erzeugen Früchte, welche sie mit einem entsprechenden Körper erntet. Wie die Erde, wenn sie mit den nötigen Nährstoffen durchtränkt ist, die verschiedenen Arten der Kräuter und Pflanzen wachsen läßt, welche dieser Nährstoffe bedürfen, so neigt sich auch die Vernunft, deren Wirken durch die Seele bezeugt wird, zu jenem Weg, der durch die angesammelten Taten bestimmt wurde. Nach der Erkenntnis richtet sich das Verlangen, aus dem Verlangen entsteht der Entschluß, aus dem Entschluß fließt die Handlung, und aus der Handlung erscheinen die Früchte (gute und schlechte Folgen). Damit haben die Früchte die Handlungen als ihre Ursache, die Handlungen werden durch die Vernunft verursacht, die Vernunft durch die Erkenntnis, und die Erkenntnis hat in der Seele ihre höchste Ursache. Und die höchste Frucht, welche durch Reinigung der Erkenntnis, der Früchte, der Vernunft und der Taten erreicht wird, nennt man das Brahman. Wahrlich groß und hoch ist diese selbstexistierende Essenz, welche die Yogis schauen. Jenen aber, die ohne Weisheit sind und deren Vernunft an weltlichen Besitztümern haftet, ist diese Sicht auf ihre wahre Seele versperrt.

Höher als die Erde (bzw. Erdelement) ist das Wasser, höher als das Wasser ist das Feuer, höher als das Feuer ist der Wind, höher als der Wind ist der Raum, höher als der Raum ist das Denken, höher als das Denken ist die Vernunft, höher als die Vernunft ist die Zeit, und höher als die Zeit ist der göttliche Vishnu, der dieses ganze Universum ist. Diese Gottheit ist ohne Anfang, Mitte und Ende und deshalb der Unvergängliche. Er ist jenseits aller Leiden, denn alle Leiden haben Grenzen. Diese Gottheit wird auch das Höchste Brahman genannt. Dies ist das Eine, die höchste Zuflucht, die wahre Heimat. Ihn erkennend und befreit von allem, was der Macht der Zeit unterliegt, erreichen die Weisen das, was man Befreiung oder Erlösung nennt.

Alles, was wir begreifen, erscheint in Verbindung mit den drei Qualitäten (der Leidenschaft, Dunkelheit und Güte). Das, was Brahman genannt wird, ist jenseits davon und ohne Qualitäten. Die Entsagung (der Früchte) aller Taten ist die höchste Religion (das höchste Dharma) und führt sicher zur Unsterblichkeit (die höchste Befreiung). Sogar die Rig, Yajus und Saman Veden stützen sich auf das Körperliche, denn sie fließen vom Ende der Zunge. Ihr Erwerb ist mit Mühe verbunden, und sie selbst sind vergänglich. Das Brahman jedoch kann auf diese Weise nicht erworben werden, denn es stützt sich auf das Ewige und Höchste, woraus alles Körperliche entsteht. Ohne Anfang, Mitte und Ende ist das Brahman und kann nicht durch Anstrengung gewonnen werden (wie die Veden). Denn Rig, Yajus und Saman haben einen Anfang. Und was einen Anfang hat, muß auch ein Ende haben. Dagegen gilt das Brahman als anfangslos und hat damit auch kein Ende. So nennt man es das Unendliche und Unveränderliche. Aufgrund dieser Unveränderlichkeit ist das Brahman jenseits aller Leiden und aller Gegensätze. Durch ihr karmisches Schicksal, ihre Unwissenheit bezüglich der heilsamen Mittel und wegen der vielen Hindernisse durch ihre Taten können die Sterblichen den Weg nicht sehen, der zum Brahman führt. Aufgrund ihrer Anhaftung an weltliche Besitztümer, ihrer Ideale über die himmlischen Freuden und ihrer Suche nach etwas anderem als Brahman gelangen die Menschen nicht zum Höchsten. Sie lieben die weltlichen Dinge mit ihren Qualitäten und begehren ihren Besitz. Das Brahman suchen sie nicht, weil es ohne jene Qualitäten ist, die sie begehren. Wer aber in die weltlichen Qualitäten verstrickt ist, wie sollte er das erkennen, was jenseits davon ist? Nur durch Einsicht (bzw. „Durchsicht“) kann man die Erkenntnis von Ihm erreichen, der alle Qualitäten und Formen überschreitet. Wir können Ihn nicht mit Worten beschreiben. Wie das Auge immer nur Sichtbares sieht, so erfaßt das Denken auch immer nur Gedanken.

Die Sinne reinige man durch das Denken, die Gedanken durch die Vernunft und die Vernunft durch Selbsterkenntnis. Damit kann das Unsterbliche erreicht werden. Wer durch Yoga von allen Anhaftungen frei mit Selbsterkenntnis gesegnet wird, der kann das Brahman jenseits aller Wünsche und Qualitäten finden. Doch wie der Wind das Feuer nicht entfachen kann, welches im Holz eingeschlossen ist, so kann das Höchste die Menschen nicht erleuchten, solange sie in ihrer äußerlichen (bzw. körperlichen) Welt eingeschlossen sind. Durchschaut man all die irdischen Dinge, dann gelangt sogar das Denken zu Dem, was höher ist als die Vernunft. Schaut man allerdings überall Trennung, dann sammelt das Denken viel Unvernünftiges an, was unterhalb der Vernunft ist. Wer jedoch entsprechend den beschriebenen Methoden die drei weltlichen Qualitäten überwindet, der verschmilzt im Körper des Brahman.

Obwohl die Seele ungestaltet (unmanifest) ist, wird sie doch von den natürlichen Qualitäten umkleidet, dadurch gestaltet und beginnt zu handeln. Löst sich das Körperliche auf, ist sie wieder ungestaltet. Die Seele selbst bleibt dabei in Wahrheit untätig (als ewiger Zeuge). Die Tätigkeit erscheint nur in Verbindung mit den Sinnen, die Glück und Leiden hervorbringen. Vereinigt mit all den Sinnen und begabt mit dem Körper, stützt sie sich auf die fünf Elemente. So scheitert sie daran, das Höchste und Unveränderliche zu erreichen, weil die Tätigkeit dazu nicht fähig ist.

Kein Mensch sieht das Ende der Erde, doch wisse, es gibt dieses Ende. Alle Wesen, die hier durch ihre Tätigkeit verwirrt werden, werden irgendwann zu ihrer höchsten Zuflucht geführt, wie der Wind auf dem Meer einen schwimmenden Gegenstand irgendwann ans sichere Ufer treibt. Wie die aufgehende Sonne mit ihren Strahlen diese Welt erscheinen läßt und beim Untergang diese Erscheinung wieder verschwindet, so geht das Wesen, das durch Entsagung alle Unterschiede (bzw. Anhaftungen) überwunden hat, schließlich wieder in das unsterbliche Brahman ein. Durch Erkenntnis von Dem, was ohne Geburt ist, die höchste Zuflucht aller Tugendhaften, das Selbstexistente, aus dem alles entsteht und wohin alles zurückkehrt (ohne es je verlassen zu haben), das Unveränderliche, was ohne Anfang, Mitte und Ende ist, das Ewige und Eine - durch diese Erkenntnis erreicht es Unsterblichkeit, die höchste Befreiung.


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