Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 109 - Über Wahrheit, Lüge und Gerechtigkeit

Yudhishthira fragte:
Wie, oh Bharata, sollte man handeln, wenn man der Tugend (dem Dharma) folgen möchte? Oh Stier der Bharatas, der du mit Weisheit gesegnet bist, beantworte mir bitte diese Frage. Wahrheit und Lüge existieren und hüllen alle Welten ein. Welche von diesen beiden, oh König, sollte eine Person nutzen, die der Tugend verbunden ist? Was ist Wahrheit? Was ist Lüge? Was ist ewige Tugend (Dharma)? Wann sollte man die Wahrheit sagen und wann nicht?

Bhishma sprach:
Wahrheit steht mit der Gerechtigkeit (dem Dharma) im Einklang. Es gibt nichts Höheres als Wahrheit. Ich werde dir jetzt erklären, oh Bharata, was den Menschen nicht allgemein bekannt ist. Dort, wo die Wahrheit die Wirkung einer Lüge haben könnte, sollte sie nicht ausgesprochen werden. Dort jedoch, wo die Wirkung einer Lüge der Wahrheit gleichkommt, kann man sogar eine Lüge aussprechen. Eine unwissende Person, die eine von der Gerechtigkeit (dem Dharma) getrennte Wahrheit ausspricht, sammelt damit Sünde an. (Denn es gibt Wahrheit, die so schädlich wie Lüge ist und es gibt Lüge, die so heilsam wie Wahrheit ist.) Wer zwischen Wahrheit und Lüge (entsprechend der Situation) entscheiden kann, gilt als Kenner der Aufgaben im Leben. So kann sogar eine unwürdige Person, die sehr grausam und von unreiner Seele ist, großes Verdienst gewinnen, wie zum Beispiel der Jäger Valaka durch die Tötung des blinden Tieres (das alle Wesen zerstören wollte) (siehe MHB8.69). Dagegen kann auch jemand aus falschem Verständnis, obwohl er stets nach Wahrhaftigkeit strebt, eine sündige Handlung begehen. (Wie der Rishi, der aus Wahrheitsliebe den Ort verrät, wo sich Unschuldige vor Räubern verstecken, und damit die Sünde des Mordes ansammelt.) Dagegen gewann wiederum eine Eule an den Ufern der Ganga (durch eine ungerechte Tat) großes Verdienst. (Die Eule ging zum Himmel, nachdem sie mit ihrem Schnabel tausend Eier zerbrochen hatte, die von einer giftigen Schlange gelegt wurden.)

Die Fragen, die du mir gestellt hast, sind wahrlich nicht einfach. Es ist schwer zu sagen, was Gerechtigkeit (Dharma) ist. Man kann sie nicht einfach vorzeigen. Keiner kann die Gerechtigkeit vollständig erklären. Sie wurde (durch Brahma) zum Heil und Wachstum aller Wesen geschaffen. Deshalb ist das, was zum Heil und Wachstum führt, Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wurde geschaffen, um die Wesen davon zurückzuhalten, sich gegenseitig zu verletzen. Deshalb ist das, was gegenseitiges Verletzen verhindert, Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wird Dharma genannt, weil sie alle Wesen erhält. Wahrlich, alle Wesen leben durch die Gerechtigkeit. Deshalb ist das, was die Wesen bewahren kann, Gerechtigkeit. Einige sagen, daß Gerechtigkeit das ist, was die Srutis (heiligen Schriften) darlegen. Manche sind auch anderer Meinung. Ich würde sie nicht tadeln, denn in den Schriften ist niemals alles enthalten.

Zum Beispiel fragen manchmal übelgesinnte Menschen, die den Reichtum anderer rauben wollen, bestimmte Dinge (um an ihr Ziel zu gelangen). Auf solche Fragen sollte man nicht wahrhaft antworten. Das gebietet die Gerechtigkeit. Wenn man schweigen kann, sollte man schweigen. Wenn aber das Schweigen verdächtig ist, sollte man unter diesen Bedingungen besser etwas Unwahres sagen. Das gebietet die Gerechtigkeit. Auch wenn man übelgesinnten Menschen durch einen (falschen) Eid entfliehen kann, kann man es tun, ohne damit Sünde anzusammeln. Man sollte auch nie, selbst wenn man dazu fähig wäre, sündhafte Menschen mit Reichtum beschenken. Solche Geschenke an sündhafte Menschen bringen dem Gebenden nichts Gutes. Wenn jedoch ein Gläubiger seinen Schuldner zum Dienst verpflichten möchte, um sich das Darlehen zurückzahlen zu lassen, würden die Zeugen alle zu Lügnern, wenn sie vom Gläubiger aufgefordert nicht die Wahrheit des Vertrags verkündeten. Wenn dagegen Leben gefährdet ist oder zum Zwecke einer Ehe, kann man auch eine Lüge sprechen. Wer wahrlich nach Tugend strebt, begeht keine Sünde durch eine Lüge, wenn sie das Wohlergehen und den Besitz von anderen rettet oder der Entsagung dient. Wenn man versprochen hat, etwas zurückzuzahlen, wird man durch sein Versprechen gebunden. Bei Nichterfüllung wird der Schuldner zum Sklaven. Wer eine gerechte Verpflichtung mutwillig nicht erfüllt, sollte für dieses Verhalten unbedingt den Stab der Züchtigung zu spüren bekommen. Wer auf betrügerische Weise von den Lebensaufgaben seiner Kaste abfällt, versucht mit dämonischen Methoden sein Leben zu fristen. Solch ein Sünder, der nur durch Betrug lebt, sollte mit allen Mitteln bestraft werden. Sündhafte Menschen denken, daß es in dieser Welt nichts Höheres gibt als Reichtum. Sie sollten nie geduldet werden. Keiner sollte mit ihnen essen, denn sie gelten aufgrund ihrer Sündhaftigkeit als gefallen. Wahrlich, abgefallen von der Menschlichkeit und ausgeschlossen von der Gunst der Götter, sind sie wie unheilsame Geister. Meide ihre Gesellschaft, denn sie sind ohne Opfer und Entsagung! Wenn sie ihren Reichtum verlieren, begehen sie sogar Selbstmord, die mitleiderregendste aller Taten. Unter diesen Sündhaften gibt es keinen, bei dem es sinnvoll wäre, wenn du zu ihm sagst: „Das ist deine Aufgabe! Möge dein Herz dazu geneigt sein.“ Sie sind felsenfest überzeugt, daß es in dieser Welt nichts gibt, das dem Reichtum gleich wäre. Wer ein solches Wesen tötet, sammelt keine Sünde an. Wer ein solches Wesen tötet, tötet nur jemanden, den seine eigenen Taten schon sterben ließen. Nur ein Toter wird noch getötet. Wer gelobt, solche Sünder zu vernichten, sollte sein Gelübde bewahren. Solche Sünder leben wie Krähen und Geier in ihrer Verblendung. So werden sie nach der Auflösung ihrer (menschlichen) Körper auch entsprechend als Krähen und Geier wiedergeboren. Jeder wird auf die Weise behandelt, wie er andere behandelt. Wer betrügt und lügt, wird durch Lüge und Betrug geschlagen werden. Wer wahrhaftig lebt, wird der Gerechtigkeit begegnen.


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