Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 60 - Über die vier Kasten und ihre Aufgaben

Vaisampayana sprach:
Danach verehrte Yudhishthira seinen Großvater, den Sohn der Ganga, mit gefalteten Händen und konzentriertem Geist und fragte noch einmal:
Was sind die allgemeinen Aufgaben aller vier Kasten der Menschen, und was sind die speziellen Aufgaben jeder Kaste? Welche Lebensweise sollte durch welche Kaste angenommen werden? Welche Aufgaben werden speziell für Könige genannt? Durch welche Mittel wächst ein Königreich, und was sind die Mittel, wodurch der König selbst wächst? Und wie, oh Stier der Bharatas, wachsen die Bürger und Diener des Königs? Welche Arten von Reichtum, Strafen, Festungen, Verbündeten, Beratern, Priestern und Lehrern sollte ein König vermeiden? Wem sollte der König in welchen Arten der Not und Gefahr vertrauen? Vor welchen Übeln sollte der König sich beständig schützen? Erzähle mir das alles, oh Großvater.

Und Bhishma sprach:
Ich verneige mich vor Dharma, der das Große ist, und vor Krishna, der das Brahman ist. Und auch in Verneigung vor den Brahmanen, werde ich jetzt über die ewigen Aufgaben sprechen. Die Zügelung des Zorns, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Vergebung, Nachkommenschaft, Reinheit, Friedfertigkeit, Einfachheit und Wohltätigkeit - diese neun Aufgaben sind für alle vier Kasten gleich.

Über die Aufgaben, die speziell für Brahmanen sind, werde ich jetzt erzählen. Die Selbsterkenntnis, oh König, gilt als erste Aufgabe der Brahmanen. Durch das Studium der Veden und geduldige Entsagung werden alle ihre Werke vollbracht. Während er die Gelübde seiner Aufgaben beachtet, ohne irgendeine unwürdige Handlung, kommt der Reichtum (von allein) zu einem friedlichen Brahmanen, der (als Schüler) Erkenntnis erreicht hat. Dann sollte er heiraten und sich um Nachwuchs bemühen, Wohltätigkeit üben und Opfer durchführen. Die Weisen sagen, daß so erhaltener Reichtum genossen werden sollte, indem er verteilt wird. Durch das Studium der Veden sind alle frommen Taten vollbracht. Ganz gleich, ob er darüber hinaus noch anderes erreicht oder nicht - wenn er sich dem vedischen Studium widmet, gilt er als Brahmane und Freund aller Wesen.

Ich werde dir nun, oh Bharata, die Aufgaben eines Kshatriya beschreiben. Ein Kshatriya, oh König, sollte geben, aber nicht betteln. Er sollte Opfer durchführen, aber nicht als Priester in den Opfern von anderen amtieren. Er sollte (die Veden) studieren, aber nicht lehren. Er sollte das Volk beschützen und stets den Untergang der Räuber und Übelgesinnten suchen, indem er seine Heldenkraft im Kampf zeigt. Jene unter den Kshatriya Herrschern, die große Opfer durchführen, die die Weisheit der Veden erwerben und Siege im Kampf gewinnen, werden die Ersten von jenen, die zukünftig viele selige Bereiche durch ihre Verdienste erreichen. Die Kenner der alten Schriften loben den Kshatriya nicht, der unverwundet aus dem Kampf (als Feigling) zurückkehrt. Dies gilt als Verhalten eines elenden Kshatriyas. Es gibt keine höhere Aufgabe für ihn als die Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Geschenke, Studium und Opfer bringen den Königen Wohlstand. Doch wenn ein König religiöses Verdienst zu erwerben wünscht, sollte er sich (als Beschützer) dem Kampf widmen. Nachdem er veranlaßt hat, daß alle seine Untertanen ihre jeweiligen Aufgaben beachten, sollte der König für Gerechtigkeit unter ihnen sorgen. Ganz gleich, ob er darüber hinaus handelt oder nicht - wenn er nur seine Untertanen beschützt, vollbringt er alle seine religiösen Werke und wird von den Besten der Menschen ein Kshatriya genannt.

Ich werde dir jetzt, oh Yudhishthira, die ewigen Aufgaben der Vaisyas beschreiben. Ein Vaisya sollte Geschenke machen, die Veden studieren, Opfer durchführen und Reichtum durch gerechte Mittel erwerben. Mit der rechten Aufmerksamkeit sollte er auch seine Haustiere beschützen, wie der Vater seine Kinder. Alle anderen Aufgaben gelten für ihn als unwürdig. Indem er seine Haustiere beschützt, wird er großes Glück erreichen. Der Schöpfer selbst, der die Haustiere geschaffen hat, gab sie in die Obhut der Vaisyas. Den Brahmanen und Kshatriyas übertrug er (dagegen die Sorge für) alle Wesen. Ich werde dir auch erklären, was der Beruf des Vaisya ist und wie er seinen Unterhalt verdienen soll. Wenn er (für andere) sechs Kühe hält, kann er die Milch einer Kuh als Vergütung nehmen. Wenn er (für andere) hundert Kühe hält, kann er ein Paar als Lohn behalten. Wenn er mit Waren handelt, kann er den siebenten Teil der Gewinne (als seinen Anteil) nehmen. Ein Siebentel ist auch sein Anteil am Gewinn aus dem Handel mit Hörnern, aber nur ein Sechzehntel am Handel mit Hufen. Wenn er Felder bestellt, ist ein Siebentel des Ertrags sein Anteil. Das sollte sein jährliches Einkommen sein. Ein Vaisya sollte nie abgeneigt sein, sich um die Viehhaltung zu kümmern. Und solange der Vaisya dazu geneigt ist, sollte niemand anderes (aus einer anderen Kaste) diese Aufgabe übernehmen.

Ich werde dir jetzt, oh Bharata, die Aufgaben der Shudras beschreiben. Der Schöpfer bestimmte den Shudra als Diener der anderen drei Kasten. Deshalb ist der Dienst für die drei anderen Kasten die Aufgabe des Shudra. Durch solchen Dienst kann ein Shudra großes Glück erreichen. Er sollte den Mitgliedern der drei anderen Kasten gemäß ihres Alters aufwarten. Ein Shudra sollte keinen Reichtum anhäufen, denn durch Reichtum würde er die Mitglieder der höheren Kasten ihm gehorsamen machen und damit Sünde ansammeln. Nur mit Erlaubnis des Königs kann ein Shudra auch Reichtum verdienen, nämlich um religiöse Handlungen durchzuführen. Ich werde dir jetzt über den Beruf erzählen, dem er folgen sollte, und die Mittel, durch die er seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Es wird gesagt, daß die Shudras ihren Unterhalt von den anderen Kasten erhalten sollten. Darüber hinaus sollten abgenutzte Schirme, Turbane, Betten und Sitze, Schuhe und Fächer den Shudra Dienern gegeben werden. Auch alte Kleidung, die nicht mehr passend ist, sollten die Zweifachgeborenen den Shudras überlassen. Denn dies sind ihre Einnahmen entsprechend der Ordnung. Die Moralgelehrten sagen, daß einem Shudra, der sich irgend jemandem aus den drei Kasten der Zweifachgeborenen zum Dienst anbietet, auch die passende Arbeit gegeben werden sollte. Stirbt ein Shudra ohne Sohn, so sollte sein Herr die Begräbniskuchen darbringen. Auch die Schwachen und Alten unter ihnen sollten versorgt werden. Dafür sollte der Shudra seinen Meister niemals verlassen, auch wenn der Dienst mühsam ist. Auch wenn der Herr seinen Reichtum verliert und verarmt, sollte er mit allem Eifer vom Shudra Diener unterstützt werden. Ein Shudra kann keinen Reichtum besitzen, den er sein Eigen nennt. Alles gehört gesetzlich seinem Herrn. Das Opfern, das als Aufgabe der drei anderen Kasten aufgestellt wurde, ist auch dem Shudra bestimmt, oh Bharata. Ein Shudra ist jedoch nicht befugt, das Swaha, Swadha oder andere vedische Mantras zu sprechen. Deshalb sollte der Shudra, ohne die vielen vedischen Gelübde einzuhalten, die Götter mit einfachen Opfern anbeten, die Pakayajnas genannt werden. Die Gabe von Purnapatra (Reiskörner) gilt als Dakshina in solchen Opfern. Es wird erzählt, daß vor langer Zeit ein Shudra namens Paijavana (in einem seiner Opfer) entsprechend der Aindragni Regel ein Dakshina gab, das aus hunderttausend Purnapatras (Reiskörner) bestand (anstatt hunderttausend Kühe oder Pferde, die er nicht besitzen konnte). So ist das Opfern eine Aufgabe für die Shudras, wie für die drei anderen Kasten.

Für alle Opfer gilt die Hingabe als das Wichtigste. Hingabe ist heilig und heilsam. Sie reinigt alle Opfernden. So sind für Shudras die Zweifachgeborenen wie Götter. Und sie verehren diese Götter in ihrem Opfer (des Dienstes), um all ihre Wünsche zu erfüllen. Und weil alle anderen drei Kasten den Brahmanen entsprungen sind, so sind die Brahmanen die Götter auf Erden. Was auch immer sie sagen, wird zu deinem zukünftigen Wohl sein. Deshalb gehört das Opfern (bzw. die Hingabe) zur wesentlichen Aufgabe aller vier Kasten. Diese Aufgabe ist für alle Pflicht. Die Zweifachgeborenen, welche die Rig, Yajur und Saman Veden kennen, sollten den hohen Göttern (Agni, Indra usw.) opfern. Der Shudra, der ohne Rig, Yajur und Saman ist, hat Prajapati (Brahma) als Gott (der auch ohne die Riten der Veden angebetet werden kann). Geistige Opfer, O Herr, sind für alle Kasten erlaubt. (Das Opfer des Körpers ist den Brahmanen vorbehalten. Das Opfer der Rede mit Mantras dürfen auch Kshatrias und Vaisyas ausführen.) Es ist nicht wahr, daß die Götter und andere hohe Wesen deshalb das Opfer eines Shudras mißachten. Denn das hingebungsvolle Opfer ist für alle Kasten bedeutsam. Doch die Brahmanen sind den Göttern am nächsten. Sie opfern für das Wohl aller Wesen. Das Opferfeuer (der Shudras) namens Vitana ist dem untergeordnet, obwohl es (wie alle Opferfeuer) durch die Vaisyas geschaffen und mit Mantras belebt wurde. Die Brahmanen sind die Priester bei der Ausführung der Opfer der drei anderen Kasten. So werden alle vier Kasten geheiligt.

Alle Kasten stehen untereinander durch die Zwischenkasten in enger Blutsverwandtschaft. Denn ursprünglich stammen alle von den Brahmanen ab. Beim Ermitteln der Abstammung wird man sehen, daß unter allen Kasten die Brahmanen zuerst geschaffen wurden. So wie ursprünglich auch Saman, Yajur und Rig nur ein Veda (bzw. Wissen) war. Diesbezüglich rezitieren die Kenner der alten Geschichten einen Text, oh König, der im Lob auf das Opfern von den Vaikhanasa Munis anläßlich eines Opfers gesungen wurde:

„Kurz vor oder während dem Sonnenaufgang sollte man mit gezügelten Sinnen entsprechend der Ordnung mit hingebungsvollem Herzen die Opfergabe ins Opferfeuer gießen. Hingabe ist eine der mächtigsten Handlungen. Hinsichtlich des Opfers ist die Vielfalt, die Skanna (das Verstreute) genannt wird, der Beginn, während das Eine, das Askanna (das Unverstreute), das Ziel ist. Opfer sind vielgestaltig, wie auch ihre Riten und Früchte. Der Brahmane, der Hingabe hat und in den Schriften gelehrt ist, ist befähigt ein Opfer anzuführen. Jeder, der ein Opfer mit Hingabe durchzuführen wünscht, sollte (von ihm) als rechtschaffen betrachtet werden, selbst wenn er zufällig ein Dieb, ein Straftäter oder der Schlechteste aller Sünder ist. Die Rishis loben einen solchen Menschen. Und zweifellos haben sie Recht. Denn das ist das große Gebot, daß alle Kasten mit den Mitteln, die in ihrer Macht stehen, stets Opfer durchführen sollen. Es gibt nichts in den drei Welten, das dem Opfer gleichkommt. Deshalb wird gesagt, daß jeder mit gutwilligem Herzen Opfer darbringen sollte, und das mit bestmöglichster Hingabe und Vertrauen.“


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