Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 56 - Bhishma über die Kraft der Könige

Vaisampayana sprach:
Nachdem sich Yudhishthira vor Hrishikesha verbeugt und Bhishma verehrt hatte, begann er mit Erlaubnis aller Ältesten, die dort versammelt waren, seine Fragen an Bhishma zu stellen.

Und Yudhishthira sprach:
Personen, die mit den Pflichten und Tugenden bekannt sind, sagen, daß die königlichen Aufgaben die höchste Wissenschaft aller Aufgaben ist. Ich denke auch, daß die Last dieser Aufgaben die schwerste ist. Belehre mich deshalb, oh König, über diese Aufgaben. Oh Großvater, sprich ausführlich über die Pflichten der Könige. Das Wissen über die königlichen Aufgaben ist die Zuflucht aller weltlichen Wesen. Oh Nachfahre des Kuru, Tugend, Gewinn und Vergnügen (des Volkes) sind von den königlichen Aufgaben abhängig. Es ist auch klar, daß die Wege zur Befreiung ebenso von ihnen abhängen. Wie die Zügel für die Rosse oder die Eisenhaken für die Elefanten, so sind die königlichen Pflichten die Zügel, um die Welt zu führen. Wenn die Pflichten der königlichen Weisen vergessen werden, würde Unordnung auf Erden entstehen und alles in Verwirrung geraten. Wie die aufgehende Sonne die dämonische Dunkelheit zerstreut, so vernichtet dieses hohe Wissen die übelbehafteten Folgen für die Welt. Deshalb, oh Großvater, belehre mich vor allem über die königlichen Aufgaben, denn du, oh Führer der Bharatas, bist der Erste aller Pflichtbewußten. Oh Feindevernichter, Vasudeva betrachtet dich als den Besten aller Gelehrten. Deshalb bitten wir dich gemeinsam um dieses höchste Wissen.

Und Bhishma sprach:
Ich verbeuge mich vor Dharma als das Höchste, vor Krishna als das vollkommene Brahman und vor allen Brahmanen! So möchte ich die Belehrung über die ewigen Aufgaben (der Menschen) beginnen. Höre von mir, oh Yudhishthira, mit konzentrierter Aufmerksamkeit den ganzen Umfang der königlichen Pflichten im Detail und auch von anderen Aufgaben, die du zu wissen wünschst. Oh Bester der Kurus, an erster Stelle sollte der König, der sein Volk erfreuen möchte, mit Demut den Göttern und Brahmanen dienen, und sich selbst stets im Einklang mit dem Gesetz verhalten. Indem er die Götter und Brahmanen verehrt, begleicht der König seine Schulden bezüglich Pflicht und Moral und gewinnt den Respekt seines Volkes. Oh Sohn, handle stets mit Geschicklichkeit, weil ohne geschicktes Handeln das bloße Schicksal niemals die von Königen gewünschten Ziele vollbringt. Diese zwei, Anstrengung und Schicksal, gehören immer zusammen. Ich betrachte sogar die Anstrengung höher, weil das Schicksal durch die Ergebnisse beeinflußt wird, die durch Anstrengung verursacht werden. So laß dich nicht entmutigen, wenn ein begonnenes Werk unglücklich endet. Dann solltest du das gleiche Werk mit doppelter Achtsamkeit erneut beginnen. Das ist die hohe Pflicht der Könige.

Es gibt nichts, was soviel zum Erfolg von Königen beiträgt, wie die Wahrheit. Der König, welcher der Wahrheit gewidmet ist, findet das Glück sowohl hier als auch künftig. Wie auch für Rishis die Wahrheit der größte Reichtum ist, so gibt es für Könige nichts, daß ihnen soviel Vertrauen bringt, wie die Wahrhaftigkeit. Der König, der mit allen Fähigkeiten und gutem Verhalten begabt ist, der selbstgezügelt, bescheiden und rechtschaffen lebt, der seine Leidenschaften kontrolliert, der vorzügliche Eigenschaften hat und weitsichtig ist, verliert niemals den Wohlstand. Durch Ausübung der Gerechtigkeit, durch Beachtung der Dreiheit des Verbergens eigener Schwäche, der Feststellung der Schwächen der Feinde und der Bewahrung der eigenen Berater, sowie durch ein aufrichtiges Verhalten erhält der König seinen Wohlstand, oh Freude der Kurus. Wenn der König kraftlos wird, wird er von allen ignoriert. Wenn er zornvoll wird, werden seine Untertanen gequält. So achte stets auf diese beiden (extremen) Arten des Verhaltens. Oh Erster der Toleranten, die Brahmanen sollten durch dich niemals bestraft werden. Denn die Brahmanen, oh Sohn des Pandu, sind die höchsten Wesen auf Erden. Der hochbeseelte Manu, oh König der Könige, sang dazu zwei Slokas. Bezüglich deiner Aufgaben, oh Nachkomme des Kuru, solltest du stets an sie denken:

„Das Feuer entsprang dem Wasser, die Kshatriyas den Brahmanen und das Eisen dem Stein. Diese drei (Feuer, Kshatriya und Eisen) können ihre Kraft über jedes andere Geschöpf ausüben, aber wenn sie auf ihre eigene Quelle stoßen, erlischt ihre Macht. Wenn das Eisen gegen Stein kämpft, das Feuer gegen Wasser oder der Kshatriya gegen Brahmanen, dann werden sie bald schwach.“

Wenn das so ist, oh Monarch, dann erkenne, daß die Brahmanen stets deiner Verehrung würdig sind. Die Führenden unter den Brahmanen sind wie Götter auf Erden. Werden sie standesgemäß verehrt, bewahren sie die Veden und die Opfer. Aber jene, oh Tiger unter den Königen, die zwar Ehre für sich begehren, aber feindlich gegen die drei Welten wirken, sollten stets durch die Kraft deiner Arme unterdrückt werden. Der große Rishi Usanas, oh Sohn, sang in alten Zeiten zwei Slokas. Höre sie, oh König, mit gesammelter Aufmerksamkeit:

„Der rechtschaffene Kshatriya, der seine Aufgaben beachtet, sollte sogar einen vedengelehrten Brahmanen züchtigen, wenn dieser ihn mit erhobener Waffe angreift. Der pflichtbewußte Kshatriya, der die Gerechtigkeit hochhält, wenn sie bedroht wird, wird durch diese Tat nicht zum Sünder, weil der Zorn des Angreifers den Angreifer selbst schlägt.“

Unter diesen Bedingungen, oh Tiger unter den Königen, sollte man die Brahmanen beschützen. Doch wenn sie die Gesetze übertreten, sollten sie aus deinem Herrschaftsgebiet verbannt werden. Habe stets Mitgefühl, oh König, selbst wenn jemand Strafe verdient. Wenn ein Brahmane des Brahmanenmordes schuldig wird, oder das Bett seines Lehrers oder anderer Altehrwürdiger verletzt, oder der Abtreibung oder des Verrats gegen den König schuldig wurde, sollte seine Strafe die Verbannung aus deinem Herrschaftsgebiet sein. Für Brahmanen ist keine körperliche Züchtigung vorgeschrieben. So solltest du auch alle bevorzugen (für Staatsämter), die den Brahmanen Respekt erweisen. Es gibt keinen Schatz, der für Könige wertvoller ist, als die Versammlung der berufenen Minister und Staatsdiener. Und unter den sechs Arten von Festungen, die in den Schriften beschrieben werden, ist jene die beste, die aus einem (dienstbereiten und liebenden) Volk besteht. Deshalb sollte der König, der mit Weisheit begabt ist, stets Mitgefühl zu den vier Kasten seiner Untertanen zeigen. Der König, der gerecht und wahrhaftig ist, kann seine Untertanen zufriedenstellen. Du darfst jedoch nicht, oh Sohn, immer und jedem Vergebung zeigen. Denn ein schwacher König gilt als der schlechteste seiner Art, wie ein kraftloser Elefant. In den durch Vrihaspati niedergelegten Schriften, gibt es einen Sloka aus alten Zeiten, der zu diesem Thema paßt. Höre, oh König, wie ich ihn rezitiere:

„Wenn der König immer nur vergibt, wird ihn auch der Gemeinste beherrschen können, wie ein Elefantenführer im Nacken eines Elefanten sitzt.“

Doch auch zornvoll sollte er nicht ständig sein. Er sollte wie die Frühlingssonne scheinen, weder zu kalt noch so heiß, daß es den Schweiß hervortreibt. Oh Monarch, durch die unmittelbare Erfahrung der Sinne, durch Vermutung, Vergleiche und durch die Kanons der Schriften sollte der König Freunde und Feinde studieren.

Oh Großzügiger, mögest du all jene unheilsamen Bräuche vermeiden, die Vyasanas (Leidenschaft, Sucht) genannt werden. Es ist nicht notwendig, daß du ihnen ganz aus dem Weg gehst. Aber wichtig ist, daß du ihnen nicht verfällst. Denn wer diesen Gewohnheiten verhaftet ist, der kann von jedem beherrscht werden.

Der König, der keine Liebe zu seinem Volk hegt, erweckt in ihm Angst. So sollte sich der König zu seinen Untertanen stets wie eine Mutter zum Kind in ihrem Leib verhalten. Höre, oh Monarch, den Grund dafür. Wie eine Mutter alle eigensinnigen Wünsche unbeachtet läßt und nur das Wohl ihres Kindes sucht, so sollten sich zweifellos auch die Könige (zu ihrem Volk) verhalten. Der rechtschaffene König, oh Erster der Kurus, sollte sich immer auf solche Art und Weise benehmen, daß er sein eigenes Wohl für das Wohl seines Volkes nach hinten stellt.

Du solltest auch niemals, oh Sohn des Pandu, deine Standhaftigkeit verlieren. Denn der standhafte König, der als Züchtiger der Übeltäter bekannt ist, hat keinen Grund zur Angst. Oh Erster der Redner, so solltest du nicht allzuviel mit deinen Dienern scherzen. Höre über die schlechten Folgen eines solchen Verhaltens. Wenn sich der Herr zu freizügig mit ihnen vermischt, beginnen die Abhängigen, ihn zu ignorieren. Sie vergessen ihre eigene Stellung und verlieren die Achtung vor dem Herrn. Sie führen ihre Befehle nur zögerlich aus und enthüllen die Geheimnisse ihres Meisters. Sie bitten um Dinge, die nicht erfragt werden sollten, und greifen nach der Nahrung, die für ihren Herrn bestimmt ist. Sie bekunden ihren Zorn und bemühen sich, ihren Herrn zu überstrahlen. Irgendwann versuchen sie sogar, über den König zu herrschen. Sie akzeptieren Bestechungsgelder, intrigieren und sabotieren die Staatsgeschäfte. Sie führen den Staat durch Mißbrauch, Täuschung und Hintergehung in den Ruin. Sie treiben es mit den Palastdienerinnen und kleiden sich im gleichen Stil wie ihre Herren. Sie werden so schamlos, daß sie vor ihrem Herrn sogar rülpsen, pupsen oder ausspucken. Oh Tiger unter den Königen, sie werden sich nicht scheuen, schamlos über ihn zu tratschen. Wenn der König zu mild und nicht ernsthaft genug ist, werden ihn seine Diener mißachten und selbst Rosse, Elefanten und ebenso gute Wagen benutzen, wie der König. Seine Berater, die am Hof versammelt sind, werden öffentlich solche Reden führen, wie: „Das steht nicht in deiner Macht, oh König! Das ist Unsinn, was du befiehlst!“ Wenn der König dann zornig wird, lachen sie nur. So werden sie auch nicht erfreut, wenn ihnen die Gunst des Königs geschenkt wird, weil sie an eigensinnige Freuden gewöhnt sind. Sie werden die Geheimnisse ihres Herrn nicht bewahren und üble Gerüchte verbreiten. Ohne die kleinste Furcht ignorieren sie die Befehle ihres Königs. Wenn die Ornamente des Königs, sein Essen, die Badeutensilien oder die Salben nicht bereitstehen, dann zeigen die Diener nicht einmal in seiner Anwesenheit die kleinste Furcht. Sie achten nicht, was ihnen zusteht, sondern sind unzufrieden mit dem, was ihnen gegeben wird, und begehren das, was dem König gehört. Sie wollen mit dem König spielen, wie mit einem Vogel an der Leine. Und den Leuten erzählen sie, daß der König mit ihnen sehr vertraut ist und sie liebt. Oh Yudhishthira, diese und viele andere Übel entstehen, wenn der König unglaubwürdig und kraftlos wird.


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