Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 28 - Vyasa über die Weisheit

Vaisampayana sprach:
Dann versuchte Vyasa die Sorgen des ältesten Sohnes des Pandu zu zerstreuen, der wegen des Tötens seiner Angehörigen im Kummer brannte und entschlossen war, sich selbst ein Ende zu setzen.

Vyasa sprach:
Diesbezüglich wird eine alte Geschichte erzählt, oh Tiger unter den Männern, die unter dem Namen „Ashmas Rede“ bekannt ist. Höre sie, oh Yudhishthira! Als Janak, der Herrscher der Videhas, einst von Sorgen und Kummer erfüllt war, fragte er den klugen Brahmanen Ashma, um seine Zweifel zu klären.

Janak fragte:
Wie sollte sich jemand, der sein Heil sucht, bezüglich Gewinn und Verlust von sowohl Angehörigen als auch Reichtum verhalten?

Und Ashma sprach:
Unverzüglich nach der Bildung eines menschlichen Körpers verbindet sich die Seele mit der Erfahrung von Freude und Leid. Weil nun diese beiden die Person überwältigen können, so wird sie von der jeweils beherrschenden schnell davongetragen, wie der Wind angesammelte Wolken vor sich hertreibt. In Zeiten des Wohlstands denkt man dann: „Ich bin von hoher Geburt! - Ich kann tun, was ich möchte! - Ich bin ein besonderer Mensch!“ Durch diesen dreifachen Hochmut wird sein Geist geprägt. Und gewöhnt an all die irdischen Vergnügungen, beginnt er, den von seinen Vorfahren angesammelten Reichtum zu vergeuden. Dann verarmt er im Laufe der Zeit und betrachtet sogar die Aneignung von dem, was anderen gehört, als lobenswert. Wie ein Jäger, der ein Reh mit seinen Pfeilen durchbohrt, bestraft der König dann diese übelgesinnte Kreatur, diesen Dieb am Besitz anderer, diesen Übeltäter bezüglich Gesetz und Ordnung. Ohne seine hundert Jahre (die übliche Zeit des menschlichen Lebens) zu erreichen, lebt so ein Mensch kaum zwanzig oder dreißig Jahre. So sollte ein König das Verhalten aller Wesen sorgfältig beobachten und mit Hilfe seiner Intelligenz die Heilmittel anwenden, welche die großen Sorgen und Leiden seiner Untertanen vermindern.

Die Ursachen aller geistigen Leiden sind zweifach: die Wahnvorstellung des Geistes und das Ansammeln von Sorgen, ohne daß es eine dritte Ursache gäbe. Alle die verschiedenen Arten des Leidens, die den Menschen einholen, wie sie auch aus der Anhaftung an irdische Freuden entstehen, stammen aus diesen Quellen. Alter und Tod verschlingen wie zwei Wölfe alle Geschöpfe, seien sie stark oder schwach, klein oder groß. Kein Mensch kann dem Alter und dem Tod entkommen, nicht einmal der Eroberer der ganzen, vom Meer umgürteten Erde. Sei es nun Glück oder Leid, das die Wesen überkommt, es sollte heiter ertragen werden, ohne Euphorie oder Verzweiflung. Denn es gibt kein echtes Mittel zur Flucht vor ihnen. Die Übel des Lebens treffen jeden, oh König, im jungen, mittleren und hohen Alter. Sie können niemals vermieden werden, weil das, was man begehrt nie beständig sein kann. Die Abwesenheit des Angenehmen, die Anwesenheit des Unangenehmen, Gut und Böse sowie Glück und Leid folgen stets dem Schicksal. So ist auch die Geburt der Wesen und ihr Tod, ihr Gewinn und Verlust alles vorkonditioniert. Gerade wie Geruch, Farbe, Geschmack und Gefühl aus der Natur erscheinen, so entstehen Glück und Elend aus dem Schicksal. Sitze und Betten, Wagen, Wohlstand, Getränke und Essen begegnen den Wesen entsprechend dem Lauf der Zeit. So werden sogar Ärzte krank, die Starken werden schwach, und die Reichen verlieren alles und werden arm. Der Lauf der Zeit ist voller Wunder. Hohe Geburt, Gesundheit, Schönheit, Wohlstand und die Dinge des Vergnügens werden alle durch das Schicksal gewonnen. So haben die Armen häufig viele Kinder, obwohl sie es nicht wünschen. Die Wohlhabenden sieht man dagegen oft kinderlos. Wunderlich ist der Lauf des Schicksals. Die Übel von Krankheit, Feuer, Wasser, Waffen, Hunger, Gift, Fieber und Unfällen treffen einen Menschen gemäß dem Schicksal, unter dem er geboren wurde. So sieht man in dieser Welt, daß manche, ohne zu sündigen, verschiedene Erkrankungen ertragen müssen, während ein anderer sündigt und doch vom Unglück nicht erdrückt wird. Man sieht, wie einer im Vergnügen des Reichtums bereits in der Jugend sterben muß, während ein anderer, der arm ist, seine Existenz von Altersbeschwerden bedrückt für hundert Jahre erträgt. Ein Niedriggeborener kann ein sehr langes Leben haben, während ein Hochgeborener wie ein Insekt schnell vergeht. In dieser Welt ist es sehr verbreitet, daß Reiche keinen gesunden Appetit haben, während die Armen sogar Holzspäne verdauen können. Was auch für Sünden der Übelgesinnte, getrieben vom Schicksal und unzufrieden mit seinen Lebensumständen, mit der Überzeugung begeht „Ich bin der Handelnde!“, so betrachtet er doch alle seine Taten als gut für sich. Jagd, Würfeln, Frauen, Wein und Schlägereien werden von den Weisen getadelt. Doch viele, die sogar umfassende Kenntnisse in den Schriften haben, sieht man daran gewöhnt. Die Dinge, begehrenswert oder nicht, kommen über die Wesen aufgrund des Laufs der Zeit. Keine andere Ursache kann es sein. Luft, Raum, Feuer, Mond, Sonne, Tag, Nacht, Sterne, Planeten, Flüsse und Berge - wer erschuf sie und wer erhält sie? Kälte, Hitze und Regen kommen nacheinander durch den Lauf der Zeit. So auch, oh Stier unter den Männern, das Glück und Leid der Menschen. Weder Medizin, noch Beschwörungsformeln können den Mensch retten, der vom Alter angegriffen oder vom Tod eingeholt wird.

Wie zwei Holzstämme, die auf dem großen Ozean schwimmen, zusammenkommen und sich wieder trennen, gerade so kommen die Wesen zusammen und trennen sich wieder (wenn die Zeit gekommen ist). Die Zeit wirkt in gleicher Weise auf alle Wesen, ob sie sich nun als Reiche an Musik und Tanz in Gesellschaft von Frauen erfreuen oder als Bettler von dem leben, was andere geben. In dieser Welt werden tausende Arten von Beziehungen gebildet, wie Mutter, Vater, Sohn oder Ehefrau. Doch in Wahrheit, wer sind sie und wer sind wir? Niemand kann irgend jemandem dauerhaft angehören. Unsere Verbindungen hier mit Frauen, Verwandtschaft und Wohlgesinnten gleichen denen der Reisenden auf einer Straße. „Wo bin ich? Wohin werde ich gehen? Wer bin ich? Wie komme ich hierher? Unter wem oder was leide ich?“ Wer über diese Fragen meditiert, gelangt zur zeitlosen Stille. Leben und Bedingungen kreisen ständig wie ein Rad und jegliche Gesellschaft mit denen, die uns lieb sind, wird vergehen. Die Verbindung mit Bruder, Mutter, Vater oder Freund gleicht den Reisenden, die sich in einem Gasthof treffen.

Die Menschen mit Weisheit schauen wie mit körperlichen Augen die kommende Welt, die noch unentfaltet ist. Wer nach dieser Weisheit sucht, sollte die heiligen Schriften nicht ignorieren sondern Vertrauen haben. Voller Weisheit sollte man die Riten durchführen, die bezüglich der Ahnen und Götter empfohlen sind und alle religiösen Aufgaben vollbringen, Opfer durchführen und mit Vernunft nach Tugend, Gewinn und Liebe streben. Ach, keiner versteht wirklich, daß die Welt im Ozean der Zeit versinkt, der so unergründlich tief und mit den gefräßigen Ungeheuern verseucht ist, die man Alter und Tod nennt. Viele Ärzte sieht man mit allen Verwandten leidend, obwohl sie die Wissenschaft der Medizin (lit. des Lebens) sorgfältig studiert haben. Auch wenn sie verschiedenste bittere und ölige Medizin einnahmen, sie konnten dem Tod nicht entkommen, wie die Kontinente dem Ozean nicht entfliehen können. Auch Alchemisten, die in der Chemie höchst erfahren sind und sie vernünftig anwenden, sieht man vom Alter gebrochen, wie Bäume durch Elefanten. Selbst jene, die asketisches Verdienst haben, dem Studium der Veden gewidmet sind, Wohltätigkeit üben und viele Opfer durchführen, können Alter und Tod nicht entfliehen. Alle geborenen Geschöpfe können weder die Jahre, Monate, Tage noch Nächte zurückbekommen, wenn sie einmal vergangen sind. Der Mensch, dessen Existenz so vergänglich ist, wird im Laufe der Zeit gezwungen, ob er will oder nicht, diesen unvermeidlichen und großen Weg zu gehen, der von jedem Wesen beschritten werden muß. Ob nun der Körper aus dem Wesen entsteht oder das Wesen aus dem Körper, die Verbindung einer Person mit Freundinnen und Freunden gleicht den Reisenden in einem Gasthof. Es gibt keine beständige Gesellschaft mit irgend jemandem. Nicht einmal den Besitz des eigenen Körpers kann man erhalten. Wie könnte man dann mit anderen zusammen bleiben? Wo, oh König, ist dein Vater heute und wo dein Großvater? Du erblickst sie heute nicht mehr, noch erblicken sie dich. Oh Sündloser! Auch Himmel und Hölle kann niemand erblicken. Die heiligen Schriften können jedoch die Augen der Tugendhaften werden. Oh König, forme dein Verhalten gemäß diesen Geboten. Mit reinem Herzen sollte man zuerst das Brahmacharya Gelübde (als Schüler) üben, dann (als Hausvater) Kinder zeugen und Opfer durchführen, um die Schuld zu bezahlen, die man vor den Ahnen, Göttern und Menschen hat. Nachdem man so Brahmacharya (Enthaltsamkeit) geübt, geopfert und für Nachwuchs gesorgt hat, überwindet derjenige, der (als Waldeinsiedler) das Auge der Weisheit findet, jegliche Angst und entrichtet damit den Tribut an den Himmel, an diese Welt und seine Seele. Der König der sich zu dieser Tugend (dem Dharma) neigt, der vernünftig darum kämpft, Himmel und Erde zu gewinnen, und von den irdischen Reichtümern nur das nimmt, was (als Anteil der Könige) in den Schriften beschrieben wurde, gewinnt Ruhm, der sich über alle Welten und unter allen Wesen ausbreitet.

Vyasa fuhr fort:
Der Herrscher der Videhas hörte mit klarem Verstand diese bedeutungsvollen Worte, wurde vom Kummer befreit und ging mit Erlaubnis von Ashma nach Hause zurück. Oh unvergänglich Ruhmreicher, überwinde auch du deine Sorgen und erhebe dich! Du bist dem Indra gleich! Ertrage deine Seele, um selig zu werden! Du hast diese Erde durch Erfüllung deiner Kshatriya Pflicht gewonnen. Erfreue dich nun an ihr, oh Sohn der Kunti, und ignoriere meine Worte nicht!


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